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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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einrichten, damit drüben davon was gebaut wird! Ostgeld haben sie doch weiß Gott genug.
     
    Bittel war hier, auch in diesem netten Menschen wachte plötzlich ein verbohrter Fanatismus auf. Ich konnte mich zurückhalten. Auch die fleißige Simone war da. Wir bereiteten das«Echolot»-Dossier vor. Englische Übersetzungen müssen gemacht werden. - Als nächstes vielleicht die Funksprüche aus Stalingrad aufnehmen. Ideen haben wir genug und Quellen auch.
    Die Hündin Emily ist wieder da, fühlte sich gleich wieder ganz zu Hause. Wieviele Jahre ist das her? - Kannte offensichtlich alles wieder, Haus, Garten und Umgebung. Ein seelenvolles Tier. Mit dem Munterhund gleich gut Freund.
     
    1999: Eine Hörspielregisseurin: Ich war im RIAS tätig und war in einer Hörspielveranstaltung, und unsere leitende Redakteurin kam freudestrahlend auf uns zu:«Die Schleusen haben sich geöffnet!»Und ich hab’ einen Schreck bekommen! Ich war 14 Jahre in West-Berlin und hatte so ein bißchen das DDR-Syndrom, lange Autobahnfahrten durch die DDR, die entwürdigende Abfertigung an der Grenze. Ich hab’ immer gedacht: Gott sei Dank, daß wir zwei Länder sind. Schreck: Ganz egoistisch. Um Gottes Willen, nun kriegen wir die Zustände, wie sie in der DDR herrschen, habe ich gedacht. Ich wußte, daß ich meine Tätigkeit im RIAS beenden würde. Und das hatte dann auch Konsequenzen für mich in der Tat. Und auch für viele andere, das wußten die damals
natürlich nicht, das ahnten die nicht. Die wurden alle entlassen.
    Es waren viele Leute zu der Hörspieltagung gekommen, es wurde angesagt, daß die Mauer gefallen sei, aber die Veranstaltung lief weiter.
    «Die Schleusen haben sich geöffnet.»Und ich wußte zuerst gar nicht, was damit gemeint war. Die liefen alle mit tränennassen Augen herum.

Nartum
Sa 11. November 1989
    Bild: Deutschland umarmt sich / Einigkeit und Recht und Freiheit
    ND: Kommuniqué der 10. Tagung des Zentralkomitees der SED/ Innenminister Friedrich Dickel zu den neuen Reiseregelungen
     
    Hamburg-Hauptbahnhof, 14 Uhr
    Ich habe mich entschlossen, nach Hamburg zu fahren zur Ankunft des Zuges aus Rostock. Hildegard merkte meine Unruhe und sagte:«Fahr man hin!»- Renate rief aus Berlin an, sie hat die Tage dort«voll»miterlebt, sie war die ganze Zeit dabei. Am ersten Tag sei es am schönsten gewesen, gestern seien sie schon alle besoffen gewesen. Die ganze Stadt sei von Trabis überschwemmt, überall ständen sie herum. Telefonzellen -«Hier wählen Sie ohne Münzen!»- würden gestürmt, weil die«Zonis»dächten, dort sei es umsonst.
    Auf der Herfahrt bereits - kurz nach Bockel - der erste Trabi. Er wird angeblinkt. Hier in Hamburg bei herrlichem Sonnenschein noch nichts los. Ich nehme an, daß es auf dem Hauptbahnhof ziemlich voll sein wird. Vor den Porno-Kinos stünden sie in Trauben, wird gesagt.
    Der Zug lief ein, verhaltener Jubel aus den offenen Fenstern. Einzelne mit viel Gepäck, das waren wohl Leute, die dem Frieden da drüben nicht so recht trauen, die hier bleiben wollen.

    «Das ist hochinteressant!»sagt ein Herr./Ich half einer zugeknöpften Ostfrau den Kinderwagen hochtragen. Sie hatte etwas Verbissenes, Primitives an sich. Vielleicht ein andersrumener Flüchtling? Wurde ihr der Boden zu heiß?/Ich entschließe mich, nach Lübeck zu fahren. Steige in einen übervollen Zug./ In Hamburg verliefen sich die Leute ziemlich, die meisten wurden erwartet. Als einzelner, älterer Herr hat man es schwer, hilfreich zu sein. Es sind oft auch Pärchen, die sich ihrer Seligkeit hingeben wollen.
    Nun fahre ich nach Lübeck. Will mal dort nach dem Rechten sehen. Im Zugabteil den alten Apotheker Ahrens von der Brunnengräber-Apotheke in Rostock getroffen. Die Reisenden, überwiegend Ossis, die von einer Westrentnerreise zurückkommen, sind ziemlich zurückhaltend, da kommt kein Gespräch in Gang. Von gemeinsamem Singen kann hier keine Rede sein. Thermoskannen und belegte Brötchen, Schweigen, nur ab und zu ein halblautes Wort. Es sind eben Norddeutsche, das muß man verstehen. -«Man kann nie wissen», nach dieser Devise schweigen sie.
    In Lübeck fuhr ich mit einem Taxi zur Grenze. Kein Durchkommen, ein Trabi nach dem andern, alle hupend und blinkend, und auf dem schmalen Gehweg Fußmarschierer. Der Fahrer, der schon von Anfang an unwillig war, gab schließlich auf und fuhr mich durch Schrebergärten wieder in die Stadt zurück. Wie freundlich die Landsleute überall begrüßt wurden!«Kaffee für unsere Landsleute

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