All die alten Kameraden: Kriminalroman aus der Eifel (Opa Berthold) (German Edition)
Tisch sitzen. Offenbar genoss man ein Bier nach dem Abendessen. Und als der Mann sie ansah und unwillkürlich aufstand, wusste Elfi Schröder sofort, dass sie nicht vergebens gekommen war. Unschlüssig blieb sie im Raum stehen. Ihre Stimme schwankte, als sie stockend sagte: »
Sorry, I – I want to – to talk to Mister Schwartz
.«
Dave Schwartz sagte freundlich und mit einem seltsamen Akzent: »Ich spreche deutsch. Bitte, Sie können ganz normal sich unterhalten in Ihrer Sprache mit mir.«
»Entschuldigung, darf ich Sie allein sprechen? Unter vier Augen?«
Dave Schwartz verließ den Tisch und kam auf sie zu. »Wenn Sie mögen, gerne.«
»Entschuldigung«, sagte Elfi wieder und mehr zu den übrigen Gästen am Tisch gewandt als zu Schwartz. »Mein Name ist Elfi Schröder. Vielleicht kennt der eine oder andere mich, ich organisiere die Veranstaltungen Ihrer Gruppe hier mit.« Kaum jemand der am Tisch sitzenden Amerikaner hatte sie verstanden, jedoch lächelte man ihr freundlich zu. Schwartz hatte sie erreicht und gab ihr die Hand, die sie zögerlich ergriff und flüchtig drückte. Dann wies der Mann in Richtung Tür. »Wollen wir ein Stück spazieren gehen?«, fragte er.
»Gerne«, antwortete Elfi und ging mit ihm hinaus. Ein lauer Abendwind zog aus dem Tal den Berg hinauf und strich sanft über ihre erhitzte Haut. Sie wendeten sich nach rechts und gingen langsam den steilen Weg aufwärts. Schwartz sagte nichts. Er wartete offenbar einfach ab, was Elfi ihm zu sagen hatte. Diese sah ihn von der Seite an. Nichts wies darauf hin, dass er neugierig oder überrascht war. Sie haderte noch eine Weile mit sich, dann kam sie zu der Überzeugung, dass er insgeheim sicherlich wusste, warum sie ihn aufgesucht hatte. Sie holte noch einmal tief Luft und sagte dann: »Du bist der Schorsch, nicht wahr?«
Nun zuckte der Mann doch zusammen. Er schien beinahe etwas zu schrumpfen, als er nach sehr langem Zögern antwortete: »Wie meinen Sie das?«
Elfi atmete noch mehrmals tief durch, dann merkte sie, wie ihre Zuversicht langsam wuchs.
»Du bist mein Vetter Schorsch. Wir stammen beide aus Schmidt.«
Der weißhaarige Mann sah die Frau, die vielleicht zehn Jahre jünger war als er selbst, mit unbewegter Miene an. Dann fragte er mit einer Stimme, die keinerlei Emotion ausdrückte: »Warum sagen Sie das? Wie kommen Sie auf so etwas?«
Elfi Schröder stockte einen Moment der Herzschlag. Ihre Knie wurden weich, sodass sie stehen bleiben musste. Diesen Moment hatte sie am meisten gefürchtet. Nun war er da. Sie kam sich dumm und lächerlich vor. Sie wusste nicht, wie sie diese peinliche Situation auflösen konnte. Insgeheim hatte sie gehofft, dass sich alles von selbst ergeben würde, wenn sie erst einmal den Mut aufgebracht hatte, den Mann anzusprechen. Schwartz schwieg und half ihr nicht. Stumm stand er neben ihr und wartete ab. Elfi konnte nicht sehen, ob es hinter seinem braunen, faltigen Gesicht arbeitete. Sie versuchte sich vorzustellen, wenn jemand anderes sie mit einer Verwandten, die man seit so vielen Jahren nicht gesehen hatte, verwechseln würde. Sie würde Fragen stellen. Wer ist diese Person? Sehe ich ihr ähnlich? Vor ihrem geistigen Auge sah sie ein Gerstenfeld, goldgelb standen die Ähren reif in der Sonne, wiegten sich sanft im Wind, der oben in Schmidt immer wehte, selbst an den wärmsten Sommertagen. Sie selbst war ein kleines Mädchen, ihr luftiges Kleid war schmutzig, doch das machte ihr nichts. Sie lachte und sah dem großen Jungen, der fast schon ein Mann war, bei der Arbeit mit der Sense zu. Er zeigte ihr, wie man mit der langen, scharfen Stahlsichel an steileren Feldstücken die Gerste schnitt. Mit nacktem Oberkörper stand er da, rund schwang er die Sense aus der Hüfte, scheinbar mühelos. »Elfi, Georg, kommt her, es gibt Kuchen«, rief die Oma. Der große Junge lachte und ließ die Sense fallen. Dann nahm er die kleine Elfi auf den Arm und rannte mit ihr übers Feld auf die Scheune zu, wo die anderen schon zusammengekommen waren.
Elfi holte noch einmal tief Luft. Alle diese anderen waren nicht mehr. Sie war die Jüngste, und sie war die Letzte. Bis auf Georg, dessen Leiche man im Hürtgenwald, wie viele andere auch, nicht hatte identifizieren können. Und das obwohl man ihn hätte erkennen können. Bei diesem Gedanken zuckte Elfi nochmals zusammen. Sie sah den Mann an, der immer noch stumm neben ihr stand. Kurz entschlossen fasste sie seine linke Hand. Als sie den kleinen Finger sah, an dem das
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