All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
gern zugehört. Er erinnert mich an Bruno. Sie wissen schon, der gerissene Dreckskerl in Der Fremde im Zug.«
»Tatsächlich«, sagte Jury, »Sie haben recht. Darauf bin ich überhaupt noch gar nicht gekommen. Gute Nacht, Dennis.« Er legte den Hörer auf und sagte zu Carol-Anne: »Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Carol-Anne hatte sich bereits auf dem Sofa niedergelassen
und blätterte in der Zeitschrift, die sie dort gefunden hatte. Eine von ihren, nicht Jurys. Beauty PLUS war nämlich nicht seine Lektüre. »Wieso tragen Sie Ihren besten Anzug?« Ihr Ton triefte vor Argwohn.
»Weil ich ausgehe.«
»Aus?«, fragte sie offenbar höchst verwundert, als gäbe es keinen derartigen Ort, zumindest nicht für ihn.
Sollte er sich jetzt wirklich wortreich über das Ausgehen auslassen?
»Mit jemand anderem?«, erkundigte sie sich.
»Ja. Sie kennen sie aber nicht.«
Sie machte die Augen zu vor dieser Eröffnung. Eine Frau! Noch dazu eine neue…! Als hielte er sich einen ganzen Stall voller Frauen, dem er ständig frische zuführte.
»Wer ist es?«
Er wiederholte es. »Sie kennen sie nicht.«
Carol-Anne schlug geräuschvoll eine neue Seite von Beauty PLUS auf.
Wenn es etwas gab, was Carol-Anne nicht brauchte, dann PLUS. Das wäre zu viel des Guten.
Jury beugte sich hinunter, um sich den Schuh zuzubinden, was ihn auf Augenhöhe mit Carol-Annes Sandaletten brachte, goldsilbern, mit ineinander verschlungenen Riemchen. »Was sind das für Schuhe?«
Sie klappte die Zeitschrift zu und schaute auf ihre Füße, als müsste sie sich erst wieder erinnern. »Manolo Blahnik.«
»Noch so ein Paar? Haben Sie denn das Geld dafür?«
»Aus dem Secondhand an der Upper Street.« Er fragte sich, welcher Umschwung des Schicksals eine Frau wohl dazu brachte, ihre Manolo Blahniks zu verhökern. »Sagen Sie: Warum sollte eine Frau Hunderte ausgeben für Manolo Blahnik, wenn sie ein Paar ordentliche Schuhe beim Army-Navy-Shop kriegen kann?«
»Haben Sie einen Knall?« Sie legte doch tatsächlich die Zeitschrift
beiseite, um ihn einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Jury wartete auf Schuhbelehrung, bekam aber keine. »Also? Warum? Ist doch eine vernünftige Frage.«
Anscheinend nicht. Sie nahm ihr Beauty PLUS wieder zur Hand und fuhr fort, es auf Trouvaillen zu durchforsten.
»Sie finden also, die Antwort ist offensichtlich.«
»Natürlich.« Sie streckte ein Bein aus und ließ die silberne Sandale von den Zehen baumeln.
Definitiv Designerbeine, dachte er.
Sie sagte: »Haben Sie etwa schon mal so einen Schuh im Army-Navy gesehen?«
»Nein, ich habe aber auch nie danach gesucht.«
»Also, echt.« Dies für eine adäquate Antwort haltend, zog sie den Fuß wieder zurück.
»Na gut, dann hören Sie jetzt mal her, Miss Schuhexpertin: Ich habe da drei ermordete Frauen, und die einzige Verbindung zwischen ihnen ist die Tatsache, dass alle Escort-Girls waren und alle Designerschuhe trugen.«
»Sie meinen, die ›Escort-Morde‹, von denen jetzt alle Welt redet?« Als er nickte, sagte sie: »Und? Erzählen Sie mir mehr darüber.«
»Nein. Die Ermittlungen sind noch im Gang.«
Carol-Anne war gekränkt. »Und was ist mit den Schuhen? Welcher Designer?«
»Jimmy Choo.«
»Wie schön!«
»Nicht so sehr für das Opfer, die Frau ist tot.«
»Jimmy Choo war’s aber nicht. Sind alle Schuhe von ihm?«
»Nein. Da war auch noch dieser französische Designer… Christian Lou-dingsbums.«
Carole-Anne konsultierte ihre Speicherbank für Schuhe und machte große Augen. »Christian Louboutin? Rote Sohlen?«
»Der Bursche, ja.«
»Die kosten ein Vermögen. Wie kann sich ein normal verdienendes Mädchen die leisten?«
»Sonderangebot oder Ladendiebstahl. Aber betrachtet man diese Escorts denn als ›normal verdienende Mädchen‹? Die haben vermutlich reiche Kunden. Sie sind heute Abend aber hübsch versilbert. Wohin soll’s denn gehen?«
»Auf Klubtour.« Sie lag auf der Couch, die Füße überkreuzt. Sie war bestimmt die einzige Frau in London, die sich erst perfekt herrichtete, um sich dann irgendwie irgendwo lässig hinzufläzen.
»Mit jemandem, den ich kenne?«, erkundigte sich Jury.
»Nein. Wir kennen unsere gegenseitigen Jemande nicht.« Den Kopf auf der Sofalehne, hielt sie die Zeitschrift ins Lampenlicht. Ihr rotgoldenes Haar leuchtete im Schein der Lampe.
»Hat Ihrer einen Namen?«
»Monty.«
»Und was macht Monty so?«
»Verkauft teure Autos. Sie sind heute Abend aber mächtig neugierig. Ich hab Sie doch auch nicht
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