Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman

Titel: All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
beschäftigt mit irgendetwas. Der ist manchmal so.«
    »Sagen Sie, behalten Sie Mungo eigentlich, weil er so unabhängig ist? Oder ist er unabhängig, weil er das Pech hatte, an Sie zu geraten?«
    »Beides.«
    »Müssen Sie eigentlich andauernd ausweichen? Können Sie sich nicht für das eine oder das andere entscheiden?«
    »Und Sie wollen Detective Superintendent sein. Arg viel höher geht’s nicht. Was kommt noch über Ihnen?«
    »Chief Superintendent.«
    »Und über dem?«
    »Divisional Commander. London ist in Bezirke aufgeteilt. Aber das wissen Sie ja.«
    »Ich weiß gar nix, Kumpel. Ich weiß allerdings, dass die Londoner City eine eigene Polizei hat.«
    »Ein Freund von mir, Mickey Haggerty …« Jury hielt inne. Er hatte keine Ahnung, wieso er Mickey zur Sprache gebracht hatte. Im Traum war Jury oft auf jenen Bootssteg zurückgekehrt. Er und Mickey gingen im Traum vom Bootssteg zurück
auf die Lichter der City zu, jeder den Arm um die Schultern des anderen gelegt.
    »Stimmt was nicht?«
    »Das traurige Ende einer Freundschaft. Einer von uns ist gestorben.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie es nicht alle beide waren?«
    Jury schrak zusammen. Harry konnte einem manchmal wahnsinnig auf die Nerven gehen, weil er schon immer alles vorher wusste. Jury fragte sich, ob es vielleicht stimmte, dass ein Teil von ihm tatsächlich damals auf diesem Bootssteg an der Themse gestorben war.
    Trevor war wieder da mit Wein und Gläsern. Er schenkte Harry ein wenig ein, Harry hob das Glas, schnupperte und probierte. »Ist jeden Penny wert, Trevor.« Trevor füllte beide Gläser.
    »Also, noch mal zurück. Sie haben eine Geschichte …«
    Für Harry war alles eine Geschichte. Jury hatte nicht mit einem Fall zu tun, sondern mit einer Geschichte.
    »… über eine junge Frau, die auf dem Gelände des Black Cat in Chesham ermordet aufgefunden wurde, angetan mit einem feinen Kleid von Yves Saint Laurent und Schuhen von Jimmy Choo …«
    »Der Schuhdesigner stand ebenfalls nicht in der Zeitung. Es gab ein Foto von dem Kleid und den Schuhen, aber Mr. Choo wurde nicht erwähnt.«
    Harrys Seufzer klang dramatisch, typisch Harry. »Ich wohne gleich bei den Ausläufern der Upper Sloane Street und bin oft genug an Jimmy Choo vorbeispaziert und habe seine Schuhe angeglotzt, um mir zuzutrauen, sie wiederzuerkennen. Ich fand, wie Sie, die Aufmachung dieser Frau faszinierend. Ich brauchte bloß online zu gehen – so nennt man das Internet -, und da waren sie, seine Schuhe. Sechs-, siebenhundert Pfund, glaube ich. Okay, jetzt haben wir also die umwerfend gekleidete junge Frau, die dazu auch noch die überhaupt nicht umwerfende kleine Bibliothekarin ist. Das ist die Hintergrundgeschichte …«

    »Über die Hintergrundgeschichte weiß ich Bescheid.« Jury machte Trevor ein Zeichen.
    »Gut. Die Frage, Ihre Frage: Wieso sollte eine unscheinbare kleine Bibliothekarin immer wieder nach London fahren, um für einen Escort-Service zu arbeiten? Weshalb putzte sie sich mit teuren Kleidern heraus und setzte alle Hebel in Bewegung, um ihr Londoner Leben geheim zu halten?«
    Jury drehte den Fuß seines Glases im Kondenswasser, das sich auf der Theke gebildet hatte. »Ich warte darauf, dass Sie es mir sagen.«
    »Weiß ich doch nicht! Die Sache ist die: Sie betrachten das Problem nicht von der umgekehrten Seite her.«
    »Von welcher umgekehrten Seite?«
    »Wie ich schon sagte: Wir halten Verkleidung seltsamerweise immer für etwas Wohldurchdachtes – die schaurige Perücke, das kalkweiße Gesicht, das angemalte Gesicht. Die Schminke. Erinnern Sie sich, was Hamlet zu Ophelia gesagt hat?«
    »Ich bemühe mich nach Kräften.«
    »›Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein anderes.‹ Wir sprechen davon, dass wir uns auf hübschen, nicht ab – die schlichte Bibliotheksangestellte verwandelt sich in das hinreißende Callgirl. Woher wissen Sie, dass es nicht umgekehrt war? Dass nicht die Bibliotheksangestellte sich in der Nutte versteckt hat, sondern die Nutte in der Bibliotheksangestellten? Die Bibliotheksangestellte war die Verkleidung.«
    Jury musterte ihn verwundert. »Wenn das der Fall ist…«
    »Nicht die Bibliothekarin hat das Escort-Girl verheimlicht, sondern das Escort-Girl hat die Bibliothekarin verheimlicht. Das Gesicht, das unscheinbar und ungeschmückt blieb – das war das Leben, das verheimlicht werden sollte.« Er drehte sich auf seinem Stuhl zu Jury herüber. »Dann machen Sie sich mal auf die Socken, Freundchen. Sie haben

Weitere Kostenlose Bücher