All the lonely people
verstehen. Als Pastorentochter weiß ich besonders gut, wie leicht der Begriff »Vergeben« aus falsch verstandener christlicher Moral missbraucht wird. Deshalb möchte ich zunächst einmal klarstellen:
•
Vergeben heißt nicht, zu vergessen.
•
Vergeben heißt nicht, alles gutzuheißen.
•
Vergeben heißt nicht: »Du hattest Recht«.
•
Vergeben heißt nicht, wieder freundlich Kontakt aufzunehmen, als sei nichts gewesen.
•
Vergeben ist kein Zeichen von Schwäche.
Vergebung ist kein butterweiches Gefühl, das wir mit Tränen in den Augen und Sanftmut im Herzen verströmen. Vergebung ist ein Willensakt, der sämtliche inneren Kräfte beansprucht. Die folgende kleine Geschichte illustriert das sehr schön: Ein Fabrikant war durch die leichtsinnige Handlung eines leitenden Angestellten an den Rand des Ruins getrieben worden. Als der Mitarbeiter in sein Büro kam, um sich zu rechtfertigen, musste der Fabrikant seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen. Die Hände um die Schreibtischkante gekrampft, sagte er mit schmalen Lippen: »Georg, ich vergebe dir, was du getan hast. Aber bitte sieh zu, dass du ganz schnell aus dem Zimmer kommst!«
Wenn wir bereit sind, zu verzeihen, dürfen wir nicht erwarten, dass unser Gefühl sofort auf Frieden umschaltet. Vergeben beginnt im Kopf. Wir machen uns bewusst, dass es nicht darum geht, den anderen freizusprechen, sondern uns selbst zu befreien. Denn eines ist sonnenklar: Den Preis für unsere Unversöhnlichkeit zahlen nur wir selbst. Es ist
unser
Magen, der rebelliert,
unser
Kopf, der schmerzt, |142|
unsere
Laune, die in den Keller sinkt. Es ist
unser
Herz, das sich verschließt und dadurch eben auch nicht für einen anderen Mann oder eine andere Frau offen ist. Indem Sie verzeihen, tun Sie
sich
etwas Gutes, nicht dem anderen.
Wenn Sie vergeben wollen, finden Sie vielleicht durch die folgenden Übungen Unterstützung:
•
Reinigen Sie sich auf imaginäre Art von negativen Gedanken. Stellen Sie sich dazu vor, dass vom obersten Punkt Ihrer Schädeldecke kristallklares Wasser durch Ihren Körper fließt und sämtliche geistigen Altlasten durch die Fußsohlen in die Erde schwemmt.
•
Setzen Sie sich vor ein Foto Ihres Ex-Partners oder Ihrer Ex-Partnerin. Schauen Sie es an und sagen Sie: »Ich verzeihe Dir, damit es mir gut geht«.
•
Stellen Sie sich vor, Sie sind bereits uralt. Weise geworden schauen auf Ihr Leben zurück. Fragen Sie sich aus dieser Perspektive, ob es sich lohnt, dass Ihr Zorn jahrelang Ihr Leben vergiftet.
•
Wenn Sie an Gott, oder wie immer Sie eine Höhere Macht nennen mögen, glauben, dann beten Sie um Kraft zur Vergebung. Sie werden erfahren, dass Ihre innere Stärke dadurch wächst.
Phase IV: Das Leben beginnt wieder neu
E ndlich haben Sie es geschafft: Sie haben den Schmerz durchlebt. Sie haben die Trennung akzeptiert. Sie können auf die Vergangenheit und Ihren ehemaligen Partner (Ihre Partnerin) ohne Hass blicken. Jetzt stehen Sie wieder auf eigenen Füßen. Nun können Sie Ihre Freiheit genießen oder sind bereit, sich langsam und allmählich wieder einer neuen Liebe öffnen. Wahrscheinlich sind Sie sogar dankbar für das, was Sie durch diese Erfahrung gelernt haben. In jedem Fall aber ist die Einsamkeit, die aus der Trennung resultierte, vorbei.
|143| Der Unterschied zwischen Trennung und Tod
E ine Klientin, deren Mann sie verlassen hatte, sagte: »Manchmal wünschte ich, er wäre tot. Dann wäre ich Witwe und könnte um ihn trauern. So gibt es ihn noch, aber nicht für mich.« Diesen Satz hörte ich nicht zum ersten Mal. Er klingt brutal, aber er weist auch deutlich auf das hin, was den Unterschied zwischen Trennung und Tod ausmacht: Am Tod eines geliebten Menschen lässt sich absolut nichts mehr ändern. Wir können nichts tun, als ihn hinzunehmen. Damit fallen einige Emotionen fort oder sind zumindest schwächer, die uns bei einer Trennung so heftig quälen: Hoffnung, Minderwertigkeitsgefühle, Eifersucht und Hass. Dass der Tod tatsächlich leichter zu ertragen ist als eine Trennung, glaubte natürlich auch meine Klientin nicht ernsthaft. Wer einen geliebten Menschen durch den Tod verliert, muss in anderen Aspekten noch viel tiefer durch das Tal der Tränen.
Einsam durch den Tod eines geliebten Menschen
» D en eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.« Diesen Spruch der Dichterin Mascha Kaleko las ich in einer Todesanzeige.
Weitere Kostenlose Bücher