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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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abschieben?«
    Max’ Vater hatte sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet. »Ich denke, alles Weitere werden wir mit Mrs. Greasley besprechen.« Er legte den Arm um seine sprachlose Frau und lenkte sie auf die Tür zu.
    »Warum besprechen Sie es nicht mit Ihrem Sohn?«, rief Claire ihnen quer durch den Saal nach, in dem ansonsten Schweigen herrschte. »Oder gehen Sie direkt zu Ihrer Dinnerparty, zu der Sie ihn nicht mitnehmen?«
    Der Teppich im Büro von Veronica Greasley wies Muster aus geometrischen Formen auf. Es sah beinahe aus wie ein Irrgarten in einem Rätselbuch für Kinder – wo man hoffnungsvoll den Wegen mit dem Bleistift folgte, bis sie jäh aufhörten und man nicht wusste, wie man sich so verirren konnte.
    Claire betrachtete den Teppich. Sie fuhr das kleine Pfad stück vor ihr mit der Spitze ihres Schuhs nach, wie ein Kind.
    »Mr. und Mrs. Gore-Thomas waren völlig außer sich«, sagte Veronica. »Sie sagen, sie werden einen gepfefferten Beschwerdebrief schreiben.«
    »Es war vollkommen unprofessionell«, räumte Claire es. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.«
    »Ich fürchte, die Gore-Thomases werden darauf bestehen, dass wir ein förmliches Disziplinarverfahren einleiten. Das machen wir wahrlich nicht gern, aber …« Veronica hob die Hände, als sei sie machtlos.
    »Ich weiß«, sagte Claire niedergeschlagen. Ihr Zorn von vor einer halben Stunde war längst verflogen, genau wie die Kraft, die er ihr verliehen hatte. Sie fühlte sich leer, sprachlos.
    »Aber ich wollte heute Abend persönlich mit Ihnen reden, bevor wir das Ganze anleiern. Können Sie mir Ihre Seite der Angelegenheit darlegen, Claire?«
    Veronicas Stimme klang freundlich, und Claire hob den Kopf. »Ich weiß, dass ich es nicht hätte sagen sollen. Aber ehrlich gesagt,Veronica, glaube ich nicht, dass das, was ich gesagt habe, an sich falsch ist. Ich glaube nicht, dass Max’ Eltern ihm zuhören. Ich glaube nicht, dass sie Zeit mit ihm verbringen. Er ist ein sehr unglücklicher Junge. Musik scheint seine einzige Möglichkeit zu sein, dem Ganzen zu entfliehen.«
    »Und warum haben Sie Ihre Bedenken nicht Ernest Doughty, Max’ Hausvater, mitgeteilt? Unser Meldeverfahren ist sehr effizient.«
    »Max bat mich, es nicht zu tun.«
    Veronica gab ein leises Seufzen von sich.
    »Ich weiß«, meinte Claire. »Aber ich dachte, wenn es ihm gestattet wäre, Musik zu belegen, wenn sein Selbstvertrauen gestärkt würde, könnte es vielleicht … helfen.«
    »Claire, lassen Sie mich das klarstellen: Sie haben selbst entschieden, was für einen Schüler das Beste wäre, offensichtlich mithilfe Ihres professionellen Urteilsvermögens, das ich respektiere, aber es lief dem zuwider, was seine Eltern wollten …«
    »Sein Tutor stimmte mir zu, dass er in der Lage wäre, die zusätzliche Arbeit zu bewältigen.«
    »… und Sie haben sich dazu hinreißen lassen, die Liebe der Eltern zu ihrem Kind infrage zu stellen, weil diese anderer Meinung waren.«
    Die Wärme war gänzlich aus Veronicas Stimme ver schwunden. Claire sah wieder auf den Irrgarten hinunter. »Ja.«
    »Viele unserer Eltern hier sind sehr beschäftigt. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Kinder weniger lieben, ja, sie verfügen sogar über sehr enge Familienbande. Es ist eine Beleidigung für all unsere Eltern, wenn man den Umstand, dass sie ihre Kinder hier zur Schule schicken, als ›sie abschieben‹ bezeichnet.«
    »Das weiß ich. Aber ich habe nicht von allen Eltern gesprochen. Ich habe von Max’ Eltern gesprochen.«
    In der Schule herrschte für gewöhnlich nie Stille, im Moment allerdings doch. Alle Kinder waren fort, und der Großteil des Kollegiums ebenfalls.
    Veronica seufzte. »Ich weiß, dass Sie ein sehr schwieriges Jahr hinter sich haben«, sagte sie. »Schwierige Jahre. Und obwohl es in letzter Zeit gute Neuigkeiten gegeben hat, muss dies eine Phase sein, in der sich Ihr Gefühlshaushalt erst einmal neu zu ordnen hat.«
    »Ich habe mir so sehr ein Kind gewünscht«, sagte Claire zu ihrem Schoß. »Ich begreife es einfach nicht, wie jemand ein Kind haben kann, ohne es heiß und innig zu lieben.« Eine Träne fiel auf ihren Rock. Nein, nicht weinen. Sie versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken.
    »Ich fühle so mit Ihnen, Claire. Und natürlich können Sie nicht wie durch Zauberhand Ihre privaten Gefühle vor dem Schultor lassen. Wir haben große Achtung vor Ihrer Lehrtätigkeit hier an der St. Dominick’s, aber wenn wir ehrlich sind, ist es

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