All unsere Traeume - Roman
leider nicht das erste Mal, dass sich Ihre persönliche Befindlichkeit auf Ihr berufliches Engagement ausgewirkt hat.«
»Es hat nicht …«
»Sie haben sich häufiger als früher krankgemeldet. Das ist Ihr gutes Recht. Allerdings haben Schüler mir gegenüber angemerkt, dass Sie außerdem … zerstreut gewirkt haben. Und im Lehrerzimmer hat es sich auch bemerkbar gemacht. Es tut mir sehr leid, das ansprechen zu müssen.«
»Ich habe mir Mühe gegeben, nicht …«
»Ja, selbstverständlich.«
Aber nicht genug Mühe.
Veronica reichte ihr die Schachtel mit Kosmetiktüchern von ihrem Schreibtisch. Claire nahm eins und schnäuzte sich. Sie konnte keinen Papierkorb entdecken, also hielt sie das feuchte Tuch in der Hand.
»Die Gore-Thomases werden darauf bestehen, dass dem Konsequenzen folgen«, wiederholte Veronica. »Wie sollen wir Ihrer Meinung nach vorgehen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich meine, das hier könnte sich im Nachhinein als eine Art Segen für Sie erweisen.«
»Wie bitte?«
»Sie haben ohnehin vor, nach Weihnachten in den Mutterschutz zu gehen. Vielleicht können wir ihn vorziehen. Max’ Eltern haben das Gefühl, dass wir gehandelt haben, und Sie können die Zeit nutzen, um sich auf Ihr Kind vorzubereiten. Ein Kompromiss, mit dem allen gedient ist.«
»Aber mein Unterricht! Und ich bin für das Konzert an Michaelis verantwortlich.«
»Wir werden das schon hinkriegen. Sie sollten sich etwas Zeit für sich nehmen.«
»Und Max wollte …« Sie brach ab. Es war unwahrscheinlich, dass man ihr in absehbarer Zukunft gestatten würde, mit Max zusammenzuarbeiten. Noch so eine Sache, die sie vermasselt hatte.
»Es ist natürlich nicht die einzige Alternative«, erklärte Veronica. »Aber es ist vielleicht die einfachste. Warum lassen Sie es sich nicht übers Wochenende durch den Kopf gehen, und wir treffen uns am Montagmorgen zu einer Besprechung?«
»Ich habe den Leistungskurs in der ersten Stunde.«
»Wir lassen Sie vertreten.« Veronica erhob sich. »Und Claire, am besten wäre es, wenn der Schulbeirat sieht, dass Sie die Beurlaubung freiwillig genommen haben. Man würde es vielleicht als Zeichen nehmen, dass Sie eingese hen haben, wie schwerwiegend Ihr Fehlverhalten war. Un sere Eltern sind hundertprozentig der größte Pluspunkt unserer Schule. Ohne Eltern, die sich entscheiden, ihre Kinder hierherzuschicken, hätten wir keine Schule.«
Bei aller Freundlichkeit und Sorge im Tonfall der Rektorin handelte es sich doch eindeutig um eine Warnung. Claire wollte sich nicht noch ein Taschentuch nehmen, aber sie musste.
»Können Sie selbst nach Hause fahren?«, fragte Veronica. »Wollen Sie Ihren Mann anrufen, damit er Sie abholen kommt?«
»Ich …« Sie wischte sich die Augen. Als sie vorhin versucht hatte, Ben zu erreichen, war sein Handy ausgeschaltet gewesen. »Nein, nein, mir geht es gut. Ich werde mir Ihren Vorschlag durch den Kopf gehen lassen.«
»Wunderbar.«
Bei Bens Heimkehr saß sie im dunklen Wohnzimmer unter einer Strickdecke. Im Fernsehen lief eine Folge von Frauentausch . »Was in aller Welt schaust du dir da an?«, fragte er vom Türrahmen aus.
»Wo bist du gewesen? Dein Handy war aus.«
»Ich habe mit Romily und Posie Monopoly gespielt. Gibt es was zu essen?«
Claire legte das Kinn auf die Knie. »Du hast dein Handy ausgeschaltet, um Monopoly zu spielen?«
Er seufzte. »Fangen wir damit nicht an, Claire. Bitte.«
»Und wenn ich mit dir hätte sprechen müssen?«
»Du hattest Elternabend. Abgesehen davon hättest du im Notfall immer bei Romily anrufen können.«
»Begreifst du denn nicht, dass es sich ein bisschen verkehrt für mich anfühlen könnte, bei Romily anzurufen, um mit meinem Mann zu sprechen?«
»Okay. Es tut mir leid.« Er machte Anstalten, in die Küche zu gehen.
»Ich werde vielleicht hinausgeworfen«, sagte sie.
Ben blieb stehen. »Wie bitte?«
»Ich … Ich habe etwas Dummes gesagt.«
»Ich verstehe nicht ganz. Wieso sollte die St. Dominick’s dich hinauswerfen? Sie lieben dich dort.«
»Ich habe die Eltern von Max beleidigt.«
»Wer ist Max?« Er stand immer noch da, legte aber die Hand auf die Sofalehne. Sein Gesicht wurde vom Fernseher erleuchtet.
»Ich habe dir doch von Max erzählt, dem Jungen, der so gut Gitarre spielt? Von dem ich wollte, dass er ein Konzert gibt?«
»Wieso hast du seine Eltern beleidigt?«
Sie fing am Anfang an, mit dem, was Max ihr von seinem Vater und seiner Stiefmutter erzählt hatte, seiner Musik und der
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