All unsere Traeume - Roman
Liebessehnsucht darin. Ihr Brief, in dem sie anfragte, ob er Musik belegen könne, das Konzert, die ganzen Mittagspausen und Schulpausen, die er mit ihr verbracht hatte. Und dann das Gespräch, das sie auf der Toilette mit angehört hatte, die Gore-Thomases, der schicke, gepflegte Babybauch. Wie sie die Beherrschung verloren und genau das gesagte hatte, was sie fühlte.
»Oh, Claire«, sagte er.
Sie wollte anfügen, wie stark sie sich in dem Moment gefühlt hatte, wie berauschend es gewesen war, davon befreit zu sein, immer nett sein zu müssen. Stattdessen sagte sie: »Aber was ich gesagt habe, ist die Wahrheit, Ben. Sie sind lausige Eltern. Im Grunde ist Max ihnen völlig gleichgültig. Wenn dem nicht so wäre, würden sie sich Zeit für ihn und seine Interessen nehmen.«
»Mag sein. Aber – es sieht dir so gar nicht ähnlich.«
»So habe ich aber empfunden.« Doch Ben hatte recht: Sie machte so etwas eigentlich nicht. Ihr wurde ganz schlecht bei dem Gedanken. »Veronica meinte, sie glaubt nicht, dass mein Unterricht sonderlich gut gewesen ist. Sie behauptet, mein Privatleben habe Einfluss auf mein Verhalten im Klassenzimmer. Es ist lächerlich.«
»Na ja, es wäre überraschend, wenn es keine Auswirkun gen auf deinen Unterricht hätte. Du hast viel durchgemacht.«
»Hat es die Art beeinträchtigt, wie du deine Arbeit verrichtest?«
»Bestimmt. Ich bin häufig abgelenkt gewesen, jedenfalls in letzter Zeit. Besonders seit Romilys Unfall. Hör mal, Claire, es ist schon in Ordnung. Jetzt ist jedenfalls einmal alles heraus. Und die St. Dominick’s weiß, was sie an dir hat. Es wird alles gut werden.«
Er schloss die Arme um sie und küsste sie auf die Stirn.
»Veronica meint, ich soll frühzeitig in den Mutterschutz gehen. Sie sagt, lieber heute als morgen. Um mich loszuwerden und die Gore-Thomases daran zu hindern, die Sache an die große Glocke zu hängen.«
»Weißt du, vielleicht ist es gar keine schlechte Idee. Du wirst ein bisschen Zeit für dich haben.«
»Ich hatte gerade reichlich Zeit für mich. Zu viel Zeit. Ich bin schier verrückt geworden in den Sommerferien.«
Er strich ihr über die Haare. »Alles wird gut werden, Claire. Das ist der Druck, unter dem du die ganze Zeit gestanden hast. Nimm dir etwas Zeit, bereite alles für das Baby vor, und wenn es erst einmal hier ist, wird alles perfekt sein. In die Schule zurückzukehren wird dann das Letzte sein, was du willst. Du wirst gar nicht mehr verstehen, warum dir all das so wichtig vorgekommen ist. Du wirst über die ganze Sache lachen, glaub mir.«
»Du meinst, ich werde darüber lachen, dass ich meine Stelle verloren habe?«
»Du hattest sowieso vor aufzuhören.«
»Aber nicht auf diese Weise.«
»Claire«, sagte Ben und nahm die Arme von ihr, »was soll ich denn deiner Meinung nach sagen? Ich versuche, das Beste daraus zu machen.«
»Ich will nicht, dass du das Beste daraus machst.«
»Möchtest du, dass ich zustimme, dass du einen schrecklichen Fehler begangen hast?«
Claire stand auf. »Ich möchte bloß, dass du auf meiner Seite bist.«
»Ich bin auf deiner Seite. Ich will für dich nur das Beste. Ich finde, du bist in letzter Zeit nicht du selbst, und du sagst Sachen und tust Dinge, die du sonst so nie sagen würdest. So würde es jedem in deiner Situation gehen.«
Claire vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich bin nicht jeder.« Ihre Stimme erklang lauter in ihrem Kopf, weil sie in ihre Hände sprach. »Ich bin ich. Ich habe diese Dinge so gemeint. Und ich möchte, dass du für mich ein trittst. Ich will nicht, dass du glaubst, ich wäre irrational oder käme nicht klar oder hätte die Beherrschung verloren.«
»Das tue ich nicht. Ich glaube nichts davon.« Er streichelte ihren Rücken.
Ich aber schon, dachte sie.
Komisch und furchtbar
A ls Claire am Dienstag die Tür aufmachte, stand Romily vor ihr, in der einen Hand einen Regenschirm, in der anderen einen Pappkarton, der halb auf ihrem Bauch ruhte.
»Ich habe gehört, was passiert ist«, sagte sie mit einem leicht entschuldigenden Lächeln. »Ich habe mir den Vormittag freigenommen. Lust auf Gesellschaft?«
Das hatte sie nicht, doch sie ließ Romily trotzdem eintreten. Sie stand zu sehr unter Schock, weil es mitten in der Woche war und sie nicht hatte aufstehen und sich für die Arbeit anziehen müssen. Sie trug Leggins und ein altes T-Shirt von Ben, ihre Heimwerkerkleidung, auch wenn es nicht mehr viel zu renovieren gab.
Romily hatte sich die Haare wachsen lassen,
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