All unsere Traeume - Roman
sie das Baby behalten wird. Ehrlich gesagt, habe ich viel eher Angst, dass es gar nicht erst auf die Welt kommt. Das bereitet mir hauptsäch lich schlaflose Nächte. Gibt es sonst noch etwas, das ihr gern wissen möchtet?«
Die beiden Frauen sahen weg. »Es tut mir leid«, sagte Bonnie.
»Ich beantworte gern Fragen. Oder unterhalte mich einfach. Vorzugsweise an einem anderen Ort als der Toilette.«
Sie sagten nichts. Claire wusch sich die Hände und verließ die Lehrertoilette. Sie spürte ihre Blicke im Nacken.
Würde es nie aufhören? Und was war, wenn sie das Baby hatte, wenn es rechtlich, emotional, unwiderlegbar ihr gehörte? Würde sie mit dem Kinderwagen herumgehen und Geflüster darüber hören, woher das Baby stammte? Würde sie in Schweigen verfallen müssen, wenn andere Mütter sich über ihre Schwangerschaften unterhielten? Würde sie immer noch das Gefühl haben, dass ihre und Bens Welt nicht ganz stimmte, weil nichts so gekommen war, wie sie es geplant hatten?
Es wird alles gut werden, wenn erst einmal das Baby da ist, dachte sie und griff mit der Hand in ihre Tasche, um den Umschlag zu berühren, in dem sie das neueste Ultraschallbild aufbewahrte. Sogar das Papier anzufassen, besänftigte sie. Ein wenig. Doch nun hatte sie natürlich ein schlechtes Gewissen, weil sie in der Toilette aufbrausend gewesen war.
Sie war ein echtes Aushängeschild für alternative Geburtsmethoden. Jetzt würden die Leute sie noch schiefer ansehen. Nicht nur, dass sie keine Kinder kriegen konnte, obendrein lungerte sie in Toiletten herum und belauschte die Gespräche anderer.
Die Aula, der Saal mit den hohen Decken und hohen Fenstern, der früher das Refektorium der Nonnen gewesen war und in dem sich heutzutage allmorgendlich die Schüler versammelten, war für den Elternabend hergerichtet. Man hatte kleine Tische in Reihen aufgestellt, jeder mit einem Namensschild, einem Stuhl dahinter und zweien davor. Claire fand ihren und setzte sich, faltete die Hände und warf einen Blick auf den Terminplan auf ihrem Tisch. Sie hatte ein Dutzend Gespräche, alle mit den Eltern völlig unproblematischer Schüler, die aber selbstverständlich mit sämtlichen Lehrkräften Termine vereinbart hatten. Zum Glück würde sie das Ganze im Autopilot-Modus erledigen können. Die Eltern wären glücklich, die Kinder wären glücklich, jeder konnte übers Wochenende nach Hause fahren und sich entspannen.
Sie wünschte, sie hätte ein Glas Wasser.
Sie schlug ihren Ordner mit den Zeugnissen und Notizen auf und machte sich daran, die Unterlagen in der Reihenfolge der Termine zu ordnen. Ohne hinzusehen, spürte sie, dass Georgette und Bonnie sie quer durch den Saal beobachteten. Sie setzte eine gelassene Miene auf.
»Oh, dem Himmel sei Dank! Sie sind hier.«
Claire blickte auf. Vor ihr stand ein Paar. Er war groß und breitschultrig, trug einen gut geschnittenen Anzug und eine gemusterte Seidenkrawatte. Seine dunklen Haare wurden an den Schläfen grau. Sie war jünger, sehr hübsch, mit der Art glänzender, zerzauster Frisur, die nur von einer Stunde professionellem Föhnen herrühren konnte. Sie trug hochhackige Schuhe und ein maßgeschneidertes blaues Kleid, das ihren Babybauch betonte.
»Hallo«, sagte Claire, erhob sich und streckte eine Hand aus, die zu ihrem Entsetzen immer noch zitterte. »Sind Sie …« Sie blickte nach unten. Das waren nicht Mr. und Mrs. Hanley. Sie unterrichtete sämtliche Hanleys nun schon seit Jahren, und Mrs. Hanleys Schwester hatte früher die erste Geige im Philadelphia Symphony Orchestra gespielt.
»Martin Gore-Thomas«, sagte er, schüttelte ihre Hand und strahlte sie mit weißen Zähnen an. »Wir haben keinen Termin, aber Maximilian hat darauf bestanden, dass wir mit Ihnen sprechen. Hat einfach nicht aufgehört, die ganze Zeit von Ihnen zu reden. Ernest Doughty sagte, Sie seien sowieso hier, und wir könnten also genauso gut vorbeischauen, bevor wir losmüssen.«
»Sie sind die Eltern von Max.« Sie warf einen Blick auf Mrs. Gore-Thomas’ Babybauch. Max hatte also recht gehabt.
»Wir haben nur ein paar Minuten«, erklärte die Frau. »Wir haben ein Abendessen in London.«
Und geht Max auch mit?, dachte Claire. Oder lasst ihr ihn zu Hause bei seiner Gitarre?
»Bitte setzen Sie sich«, sagte sie. »Ich habe selbst nur ein paar Minuten. Eigentlich habe ich jetzt einen Termin. Aber Max ist ein außerordentlicher Schüler, und ich unterhalte mich gern mit Ihnen über ihn.«
»Sitzen … nein danke,
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