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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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und die Spit zen waren nass. Sie reichte Claire den Karton und beugte sich nach unten, um ihre Stiefel aufzubinden. Die Mühe, sich zu bücken, entlockte ihr ein Ächzen.
    »Ben hat es dir erzählt«, sagte Claire.
    »Er hat es mir erzählt, und ich finde es absolut lächerlich«, erklärte Romily. »Wie können sie dich dazu zwingen, dich beurlauben zu lassen, bloß weil du etwas gesagt hast, was jeder mit ein bisschen gesundem Menschenverstand sowieso denken würde?« Sie richtete sich auf und stemmte die Hand ins Kreuz. »Diese Leute sollten auf die Knie sinken, um sich bei dir dafür zu bedanken, dass du dir die Mühe machst, ihre Kinder zu erziehen, wenn sie es selbst schon nicht tun.«
    »Du meinst, es war richtig, dass ich gesagt habe, was ich gesagt habe?«
    »Ich finde es gut, wenn man auch im Beruf ab und zu mal Klartext redet, die Dinge beim Namen nennt. Alles andere ist auf Dauer tödlich.«
    Claire war für einen Moment sprachlos. So hatte die Sache noch keiner gesehen.
    »Andererseits«, fuhr Romily fort, »was weiß ich schon? Ich arbeite allein in einem Zimmer voller toter Käfer.«
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber mittlerweile sehe ich den Reiz einer solchen Arbeit. Tee?« Sie gingen in die Küche, wo noch das schmutzige Geschirr vom Frühstück stand. »Ich habe heute niemanden erwartet«, sagte sie. Tatsächlich erledigte sie sonst jeden Morgen als Erstes den Abwasch, egal, ob Gäste kamen oder nicht.
    Romily schien es nicht aufzufallen, und Claire wurde klar: Selbst wenn es Romily auffiele, so wäre es ihr garantiert völlig einerlei, und das unterschied Romily von allen anderen Menschen in Claires Bekanntenkreis. Romilys enervierende Leichtsinnigkeit, ihre verantwortungslose Art in Sachen Ernährung, Sauberkeit und Spaziergängen auf Sanddünen besaß für Claire in diesem Augenblick eine überaus attraktive Seite: Romily würde Claire nicht verurteilen.
    Es ist verständlich, dass es für Ben höchst angenehm ist, Zeit mit ihr zu verbringen, dachte sie, und dann versuchte sie, diesen Gedanken zu verdrängen, indem sie geschäftig mit Wasserkocher und Teekanne herumhantierte.
    »Wie ich höre, geht es dem Baby gut«, sagte sie. »Ben hat mich praktisch täglich auf den neuesten Stand gebracht.«
    Dies war als kleiner Seitenhieb gemeint. Seit Freitag, als ihr Gehirn ihrem Mund die Erlaubnis erteilt hatte, zu sagen, was er wollte, schien sie gar nicht mehr anders zu können. Es war, als wäre ein Kontrollmechanismus ausgeschaltet. Bloß dass ihr die bissigen Wahrheiten, die ihr entschlüpften, im Gegensatz zu Freitag kein Gefühl von Macht oder Freiheit verschafften. Sie ermüdeten sie nur.
    Romily schien die Anspielung nicht zu bemerken. »Dings ist ein echter Fußballer. Ich glaube, du hast in Zukunft viele Fußballspiele un d / oder Tanzvorführungen vor dir.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und versuchte, es sich bequem zu machen. »Ich wollte mal sehen, wie dein Terminplan aussieht. Eine der Frauen an der Schule hat mich bei einem Geburtsvorbereitungskurs Anfang Dezem ber angemeldet, und ich hab mir gedacht, du möchtest vielleicht mitkommen.«
    »In meinem Terminplan herrscht jetzt gähnende Leere. Wie du weißt.«
    »Wie lange musst du zu Hause bleiben?«
    »Der Schulbeirat hat meinen Antrag angenommen, mit sofortiger Wirkung in Mutterschutz gehen zu dürfen. Anscheinend haben sie übers Wochenende schon nach einer Vertretung Ausschau gehalten. Eigentlich wollte ich Ende des Sommers in Teilzeit übergehen und dann im Herbst den Mutterschutzurlaub nehmen, aber jetzt denke ich, ich muss vielleicht gleich kündigen und werde gar nicht mehr zurückgehen.«
    »Bis Ostern könnte sich der Sturm gelegt haben.«
    »Vielleicht. Aber ich bezweifle es. Die Leitung war … nun, ich hatte gestern nicht den Eindruck, dass man auf meine Mitarbeit noch großen Wert legt.« Selbst Veronica, die sie Freitagabend immerhin halbherzig unterstützt hatte, hatte eine verbissene Miene aufgesetzt, als gestern Claires »Antrag« angenommen wurde, der gleichbedeutend mit einer Kündigung war. Sie musste übers Wochenende erneut von den Gore-Thomases gehört haben, vermutete Claire. Es war überraschend, dass sie zwischen den ganzen Dinnerpartys die Zeit fanden, sich zu beschweren.
    »Was haben sie gemacht, haben sie gebuht, als du das Gebäude betreten hast?«
    »Nein, nein, sie waren alle sehr höflich, aber …«
    »Aber sie haben dir einen großen Karton gegeben, damit

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