All unsere Traeume - Roman
keine Zeit, fürchte ich. Die M4 ist um die Tageszeit der reine Wahnsinn.«
Max’ Stiefmutter hatte ihr Handy herausgeholt und scrollte darauf herum.
»Tja«, meinte Claire, »wie Sie sicher wissen, ist Max eigentlich kein Schüler von mir …«
»Was unterrichten Sie denn?«
»Musik.«
»Ach so, reizend. Nein, wir haben Max während der Ferien Unterricht bezahlt, aber es kommt gar nicht infrage, dass er Musik als Schulfach belegt. Nichts für ungut, aber er braucht eine solide Schulausbildung und soll nicht stundenlang auf der Gitarre herumklimpern. In dem Alter wollen doch alle Kinder Popstars werden, oder nicht?« Martin Gore-Thomas lachte.
»Tatsächlich habe ich Ihnen zu Jahresbeginn aus diesem Grund geschrieben«, erwiderte Claire. »Wir hätten nichts dagegen, wenn Max abgesehen von seinen derzeitigen Fächern Musik als zusätzliches Prüfungsfach belegt. Es ist nicht zu spät, jetzt noch damit anzufangen. Ich kann ihm mit ein paar Nachholstunden helfen. Er hat auch Interesse daran geäußert, es in zwei Jahren als zusätzliches Abiturfach zu belegen.«
Max’ Stiefmutter kicherte. Zuerst dachte Claire, sie lache über den Vorschlag, doch dann sah sie, dass sie etwas auf ihrem Handy las. Sie stieß ihren Ehemann an und zeigte ihm das Display, woraufhin er in sich hineinlachte.
»Max ist sehr begabt«, sagte Claire, »und er hat gezeigt, dass er zu der zusätzlichen Arbeit imstande ist.«
Mr. Gore-Thomas bedachte sie mit einem Blick, als hätte er vergessen, worüber sie sich gerade unterhielten. Er schenkte ihr sein breites, strahlendes Lächeln. »Nein, nein, es ist eine reizende Idee, aber wie schon gesagt, kommt es nicht infrage. Max muss sich auf die wichtigen Fächer konzentrieren. Er ist kein Intellektueller, wie Sie bestimmt wissen werden. Er muss hart arbeiten, um anständige Ergebnisse zu erzielen, und die Gitarre lenkt ihn nur ab. Das setzt ihm nur noch mehr Flausen in den Kopf. Der Junge kann sich keine fünf Minuten auf etwas konzentrieren.«
»Ich glaube, er hat bewiesen, dass er sich durchaus auf et was konzentrieren kann. Seine Kompositionen zeigen das.«
Er lachte erneut in sich hinein. »Kompositionen. Das ist liebenswürdig von Ihnen, Mrs. …«
»Lawrence.«
»Mrs. Lawrence. Sehen Sie, ich begreife, was Sie sagen, aber laut meiner Erfahrung hält jeder Lehrer sein Fach für das wichtigste, was logisch gesehen nicht stimmen kann. Ein Junge wie Max muss an seine Prüfungen denken, wenn er es im Leben zu etwas bringen will. Er muss sich ein wenig Ehrgeiz zulegen, anstatt bloß vom Berühmtwer den zu träumen. Sie und ich wissen, dass das nicht realistisch ist, nicht wahr?«
»Martin«, sagte Mrs. Gore-Thomas mit einem Blick auf die Tür. »Es ist halb.«
»Schon? Wie die Zeit vergeht!Vielen Dank, dass Sie sich mit uns unterhalten haben, Mrs. Lawrence, ich habe mich sehr gefreut …«
»Haben Sie sich Max’ Musik überhaupt schon einmal angehört? Haben Sie ihn gebeten, sie Ihnen vorzuspielen?«
Die Worte entfuhren ihr recht laut. Mrs. Gore-Thomas seufzte.
»Max hat das Zeug zu einem Komponisten«, fügte Claire hinzu. »Er hat zweifellos mehr Talent, als ich je bei einem Kind seines Alters gesehen habe. Er will kein Popstar werden. Er will Musiker werden. Und selbst, wenn er nicht so begabt wäre, Mr. Gore-Thomas – die Musik macht Max glücklich.«
Mr. Gore-Thomas hatte sich halb zur Tür gewandt, halb die Hand ausgestreckt, um sie ihr zum Abschied zu geben. Jetzt hielt er inne. Zum ersten Mal schien er Claire tatsächlich anzusehen.
»Wollen Sie damit sagen, dass ich nicht weiß, was das Beste für meinen Sohn ist?«
»Ich sage, wenn Sie sich die Zeit nehmen würden, sich Max’ Musik anzuhören, wenn Sie sich die Zeit nehmen würden, ihm zuzuhören …«
»Martin, wir kommen zu spät.«
»Warum haben Sie überhaupt Kinder, wenn Sie ihnen keine Aufmerksamkeit schenken?«
Es war ihr herausgerutscht. Sie sah, wie sich Mrs. Gore-Thomas’ Augen weiteten und Mr. Gore-Thomas’ Miene streng wurde. Hinter ihnen warteten die Hanleys höflich darauf, an die Reihe zu kommen. Die Verblüffung stand ihnen in die Gesichter geschrieben.
Der Anblick hätte ihr Einhalt gebieten sollen, aber das tat er nicht. Sie wandte sich an Mrs. Gore-Thomas. »Was werden Sie mit diesem neuen Baby machen, sobald es kein schicker Babybauch mehr ist? Sobald es ein echter Mensch ist, der Forderungen an Sie stellt? Werden Sie es auch an Nannys und Au-pairs und in Internate
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