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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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waren durcheinander, ihre Wangen gerötet. An ihrer Bluse befand sich ein bisschen Zahnpasta, weil sie Posie geholfen hatte.
    Sie grinste ihr Spiegelbild an und nahm ein Kopfkissen vom Bett. Dann überlegte sie es sich anders und nahm beide. Darunter war eine Ansammlung von Gegenständen verborgen: ein zusammengeknäultes Nachthemd, ein Plastikfläschchen mit Handcreme, ein Roman, ein Notizbuch, ein schwarz-weißes Foto.
    Ein schwarz-weißes Ultraschallbild.
    Sie hatte nicht gewusst, dass Romily eines der Ultra schallbilder behalten hatte. Bei genauerem Hinsehen wurde ihr klar, dass es keines von denen war, die sie selbst besaß.
    Es musste von Posie stammen. Immer noch wie ein Schatz gehütet, nach all den Jahren. Claire lächelte und nahm es an sich, weil sie sich fragte, wie Posie in der Gebärmutter ausgesehen hatte. Ob sie ihrer Halbschwester oder ihrem Halbbruder ähnelte. Ob alle Babys vor der Geburt gleich aussahen oder ob sie unterschiedlich waren, individuell, bereits sie selbst. Auf diesem war ein halbes Gesicht zu sehen. Das Baby hatte den Daumen im Mund.
    Das Datum stand am unteren Rand gedruckt.
    »Claire?«, rief Posie. »Ich habe meine Gutenachtgeschich ten ausgesucht.«
    Claire legte das Foto dorthin zurück, wo sie es gefunden hatte, auf das Notizbuch. Sich auf die Lippe beißend kehrte sie mit den Kopfkissen in Posies Zimmer zurück.
    »Danke«, sagte Posie glücklich und verteilte die Kissen hinter sich. Auf dem Bett hatte sie einen Bücherstapel.
    Warum hatte Romily ein Ultraschallbild vom 29. August dieses Jahres?
    »Fangen wir mit Peter Pan an«, schlug Posie vor und reichte ihr das Buch. Claire schlug das Buch mechanisch auf und fing laut zu lesen an.
    Das war der Ultraschall, der im Krankenhaus gemacht worden war. Nach dem Sturz. Romily hatte behauptet, keinen Ausdruck verlangt zu haben.
    Warum?
    Sie las von Nimmerland, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Dann etwas über eine Hexe, über einen Bären, etwas über die Mayas. Als sie das vorletzte Buch zuschlug, sah sie auf Posie hinunter, die tief und fest auf ihrem Kissenberg schlief, die Hand unter die Wange gesteckt.
    Claire küsste Posie auf die Stirn und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Sie schaltete das Nachtlicht ein und schloss behutsam die Tür. Dann kehrte sie in Romilys Schlafzimmer zurück.
    Sie spionierte nicht herum. Sie hatte das hier zufällig gefunden. Und schließlich handelte es sich um ein Foto ihres eigenen Kindes.
    Claire setzte sich aufs Bett und griff erneut nach dem Foto.
    Romily hatte bei den Ultraschalluntersuchungen nie sonderlich interessiert gewirkt. Im Gegensatz zu Ben und Claire war ihr Blick nicht auf den Bildschirm geheftet gewesen. Claire hatte immer den Eindruck gehabt, sie wolle so tun, als wäre sie gar nicht da, um zu versuchen, Ben und Claire die Illusion zu vermitteln, sie wären allein in dem Zimmer. »Das ist euer Baby«, hatte sie immer wieder gesagt.
    Und dennoch hatte sie dieses eine Bild behalten, entstanden bei der einzigen Gelegenheit, als Ben und Claire nicht dabei gewesen waren.
    Und dann hatte sie deswegen gelogen.
    Und es versteckt.
    Claire sah sich in dem Zimmer um, als gäbe es dort einen Hinweis darauf, warum Romily so etwas tun sollte. Romily, die einer der direktesten Menschen war, denen Claire je begegnet war. Die sagte, was sie dachte, die Claire gelobt hatte, weil sie es endlich auch einmal getan hatte. Deren Ehrlichkeit manchmal an Taktlosigkeit grenzte.
    Die sie gebeten hatte, ihr Abendessen mit Jarvis vor Ben geheim zu halten.
    Das Zimmer gab nichts preis, abgesehen von dem Umstand, dass sie aufgeräumt hatte. Wahrscheinlich hatte sie das ganze Zeug unter das Kopfkissen gesteckt, damit es außer Sicht war. Oder schlief sie jede Nacht mit diesem Foto unter dem Kopfkissen? Während Claires Baby in ihrem Innern schlief?
    Claire berührte das Notizbuch, auf dem das Foto gelegen hatte. Es war ein unliniertes Notizbuch mit weichem Einband, Spiralbindung, A5, mit grünem Cover. Vorne stand nichts geschrieben.
    Und hatte das Foto nicht teilweise darin gesteckt? Mit der Ecke bloß ein Stückchen unter dem Cover? Als sei es bei Romilys Aufräumaktion herausgefallen?
    Sie versuchte sich zu entsinnen, versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen war, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte.
    Claire sah sich erneut in dem Zimmer um. Dem Zimmer dieser anderen Frau, dem Leben dieser anderen Frau. Sie griff nach dem Notizbuch und schlug es auf.
    Liebes Kleines, las sie.

Was hätte sein

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