All unsere Traeume - Roman
und konnte einfach nicht aufhören, Mince Pies zu essen. Sie musste alle fünf Minuten auf die Toilette, und ihr Rücken tat seit zwei Tagen pausenlos weh. Außerdem weinte sie bei Windelwerbungen – so sehr, dass sie überhaupt nicht mehr fernsah.
Das Windelwerbungsgeheul bereitete ihr Sorgen. Sie hatte beruflich schon mit vielen ekligen Dingen zu tun gehabt – manch einer würde vielleicht sagen, mit vielen extrem ekligen Dingen –, aber eine saugfähige Wegwerfverpackung, die bis zum Rand mit breiiger Babykacka voll war, war das Schlimmste. Sie hatte zwei Jahre lang täglich würgend zugebracht, bis Posie endlich trocken war. Sie sollte Windeln gegenüber keine sentimentalen Gefühle he gen. Doch sobald dieses Baby erst einmal Windeln brauchte, würde der Kleine nicht mehr ihr gehören.
Zudem war sie so sehr schwanger, dass jegliche Begegnung mit einem Fremden unvermeidlich zu Fragen über den Entbindungstermin, den Namen des Babys und sein Geschlecht führte. Alle meinten es gut, doch ihre unbeschwerte »Oh, ich bin Leihmutter«-Reaktion war verschwunden, und es war die reinste Folter, eine nichtssagende Antwort vor sich hin zu murmeln und so schnell wie möglich das Thema zu wechseln.
Genau so hatte Claire sich jedes Mal beim Anblick der Kinder anderer Leute gefühlt, das wusste Romily.
Jarvis hatte angeboten, heute Abend auf Posie aufzupassen, damit sie ausgehen und sich entspannen konnte, doch sie hatte abgelehnt. Zum einen hatte sie niemanden, mit dem sie ausgehen könnte. Selbst Hal hatte freitagabends etwas vor. Und sie hatte auch nicht Jarvis zu sich nach Hause eingeladen, während Posie im Bett war. Sie brauchte nicht noch mehr Verwirrung in ihrem Leben. Nicht jetzt.
Stattdessen saß sie auf dem Sofa, die Füße auf einem Kissen und ihren Laptop auf dem Bauch balancierend, und tat so, als würde sie im dämmrigen Licht ihres künstlichen Weihnachtsbaumes nach neuen Forschungsstellen suchen. Immer wenn Dings trat, hüpfte der Laptop hoch.
Sie hatte Jarvis versprochen, dass sie sich nicht zurückziehen und die Wirklichkeit vermeiden würde, um Posies willen. Das Problem war nur: Was sollte sie stattdessen tun? Sie hatte Posie bei den Hausaufgaben geholfen und so viel Zeit mit ihr verbracht, wie sie konnte. Jarvis hatte sich jeden Tag vor der Schule mit ihnen getroffen. Heute Nachmittag hatten sie Weihnachtseinkäufe gemacht und den Baum geschmückt, so gut es eben ging. Sie hatte Posie vor dem Schlafengehen extra geknuddelt, hatte sich zu ihr ins Bett gelegt und mit ihr geredet. Sie hatte versucht zu erklären, dass die Trennung von Ben und Claire nichts mit Posie zu tun hatte und dass es wahrscheinlich nur vorübergehend war – aber es war so gut wie unmöglich, einer Siebenjährigen zu erklären, was wirklich los war. Es würde helfen, wenn Posie Ben oder Claire sehen könnte, aber Romily brachte den Mut nicht auf, auf Bens SMS zu antworten. Sie würde es tun. Aber jetzt noch nicht.
Sie sollte ein Kind aus Posies Klasse zum Spielen einladen. Sie sollte sich überwinden und Eleanor fragen. Posie hatte nie erwähnt, mit Eleanors Tochter Emily befreundet zu sein, selbst wenn das zu diesem Zeitpunkt wahrschein lich auch schon egal war. Auch da wieder – eine Frage des Mutes.
Wie sollte sie Mut fassen, wenn sie es noch nicht einmal schaffte, den Fernseher einzuschalten?
Ein Klopfen an der Tür. Bens Klopfen.
Ihr blieb genug Zeit, Freude, Panik, Angst, Sehnsucht zu spüren, während sie den Laptop vorsichtig auf den Sofatisch stellte, ihren plumpen Körper vom Sofa hievte und den schmerzenden Rücken mit der Hand stützte. Trotzdem war sie nicht darauf vorbereitet, ihn dort stehen zu sehen, ebenso wenig auf die Wucht der Gefühle.
Er war unrasiert. Unter den Augen hatte er dunkle Ringe. Er trug keinen Mantel.
»Du siehst furchtbar aus«, stellte sie fest.
»Ich muss mit dir reden.«
Er trat ein. Sie roch den Alkohol. »Ich bin im Pub gewesen«, erklärte er. »Ich habe ein bisschen Mut gebraucht.«
»Brauchen wir den nicht alle?«
»Ich wollte dir sagen … Ich wollte bloß sagen … Wo ist Posie? Schläft sie?« Bevor Romily antworten konnte, ging er zu ihrer Zimmertür und sah hinein. Nach einem langen Augenblick schloss er die Tür und kam zurück. »Ich habe sie vermisst. Herrgott, so sehr!«
»Sie hat dich auch vermisst. Sie war es, die dir gesimst hat.«
»Ach? Oh.« Er runzelte die Stirn, fügte dem aber nichts hinzu. Romily wartete mit klopfendem Herzen.
Ben wusste alles
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