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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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papiernen Haut an der Hand ihrer Mut ter, die einst die schönste Hand gewesen war, die sie kannte.
    Eine Träne fiel in ihren Schoß.
    Das Lied ging zu Ende, und in dem stillen Augenblick, als es verklang, sah Claire zu Max auf die Bühne hinauf. Er sah sie direkt an.
    Und dann erkannte sie: Dies war das letzte Lied. Das Mutter-Lied war ihr Lied. Er hatte es nach ihr benannt.
    Claire stand auf, und sie lächelte ihm zu. Zusammen mit den übrigen Anwesenden in dem Saal applaudierte sie diesem begabten, fest entschlossenen, einsamen Jungen. Ihrem einsamen Jungen. Sie wischte sich mit dem Arm über die Augen, während das Publikum klatschte und klatschte und klatschte und Max aufstand, sich leicht verbeugte und wieder durch den Vorhang entschwand.
    Der Beifall dauerte ziemlich lange an, weit über den Zeitpunkt hinaus, an dem Claire klar wurde, dass Max nicht herauskommen würde, um sich nochmals zu verbeugen. Am liebsten wäre sie hinter die Bühne gelaufen, um ihn zu beglückwünschen, aber bei einer solchen Veranstaltung herrschte dort hinten bestimmt ein Gedrängel. Er hatte genug anderes im Kopf. Sie würde sich ein Glas des lauwarmen Weißweins der Schule genehmigen und auf ihn warten. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie es bei ihren eigenen Schulkonzerten gewesen war: Anschließend wollte sie sich mit ihren Freunden unterhalten, alles Punkt für Punkt durchgehen. Doch sie wollte immer auch, dass ihre Mutter da war und wartete.
    Dank ihrer günstigen Position gehörte sie zu den Ersten, die sich ein Glas nahmen, doch sie konnte nicht mehr als ein paar begeisterte Lobesworte mit Felicity wechseln, bevor der Ansturm auf die Getränke einsetzte. Sie wich zurück, ging in die gegenüberliegende Ecke. Es war ein guter Platz, um zu beobachten. Sie nippte an ihrem Wein und hörte sich an, was die Leute über das Konzert zu sagen hatten.
    Unglaublich. So talentiert. Ich konnte Mrs. Greasley sehen, als er spielte! Ich dachte, er sei ein bisschen eigenartig – du weißt schon, aber jetzt kapiere ich es.
    »Ich hatte keine Ahnung«, sagte ein Mann nicht weit von ihr, ein großer Mann mit dunklem Haar. Von hinten sah sie, dass er an den Schläfen ergraute. Sie erkannte die Stimme wieder. Für den Fall, dass Mr. Gore-Thomas sich umdrehen sollte, wich sie noch ein Stück weiter in die Ecke zurück. Er unterhielt sich mit Max’ Hausvater, Ernest Doughty. »Nicht den blassesten Schimmer, dass er so spielen kann. Ich kenne mich mit Musik nicht aus, aber es hat mir gefallen. Erstaunlich. Wirklich erstaunlich.«
    »Ich bin so froh, dass Sie heute Abend kommen konnten«, sagte Ernest. »Ich weiß ja, wie viel Sie um diese Jahreszeit zu tun haben.«
    »Nein, nein, nicht der Rede wert. Musste sein, wie Sie schon sagten.«
    Ernest warf Claire über Gore-Thomas’ Schulter einen Blick zu. Er nickte, und Claire glaubte, sie habe ihn zwinkern gesehen.
    »Dad?«
    Max’ Stimme übertönte das allgemeine Geplauder. Er hatte immer noch seine Gitarre in der Hand, und er starrte seinen Vater an. Mr. Gore-Thomas schob sich sofort durch die Menge hindurch auf ihn zu. Er legte Max den Arm um die Schultern. »Bin stolz auf dich, mein Sohn«, hörte Claire ihn sagen, während Max hochrot anlief.
    Sie stellte leise ihren Wein auf dem Tisch ab und verließ den Saal.
    Veronica kam ihr durch den Korridor entgegen, zwei weitere Weinflaschen in der Hand. »Claire!«, rief sie. »War das nicht unglaublich?«
    »Ja, das war es.«
    »Ich bin ja so froh, dass Sie gekommen sind, um es sich anzusehen. So hat sich noch alles zum Guten gewendet, nicht? Hören Sie, Sie müssen ganz bald einmal vorbeischauen, damit wir darüber reden können, wann Sie zu uns zurückkehren.« Sie strahlte.
    »Eigentlich glaube ich nicht, dass ich zurückkommen werde«, erwiderte Claire.
    »Sie werden Vollzeitmama?«
    »Nein. Ich werde mich woanders bewerben. Ich würde ein positives Empfehlungsschreiben von Ihnen wirklich zu schätzen wissen, falls das möglich sein sollte.«
    Veronica runzelte die Stirn. »Wann haben Sie das denn entschieden?«
    »Gerade eben. Einen schönen Abend noch.« Sie nickte Veronica freundlich zu und verließ die Schule.
    Claire fühlte sich seltsam ruhig auf ihrer Rückfahrt nach Sonning, ruhiger, als sie sich seit Wochen, Monaten – vielleicht sogar Jahren – gefühlt hatte. Zu Hause legte sie als Erstes Bach in die Stereoanlage, die sie lauter aufdrehte als sonst, und dann öffnete sie die Küchenschublade und suchte sich einen

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