All unsere Traeume - Roman
nicht, England verlassen zu haben. Er hatte alle möglichen Abenteuer erlebt, während sie in einer kleinen Wohnung Windeln gewechselt hatte und in einem Museum die Insektensammlung einer anderen klassifizierte.
Sie schlief irgendwann ein und wachte erst wieder auf, als sie auf der Fähre nach Sandbanks waren. Der scharfe Geruch der Meeresluft drang durch die Fenster, und Romily setzte sich aufrecht hin, ließ den Himmel auf sich wirken, der hier im Süden viel blauer wirkte, den Lärm der Fähre, die Möwen, die ihre Kreise über ihnen zogen. Posie hüpfte aufgeregt auf ihrem Sitz auf und ab. Jarvis fuhr auf einen Parkplatz, und Posie war fast schon ausgestiegen, bevor das Auto richtig zum Stehen gekommen war.
»Warte!«, rief Romily Posie zu, die über die Dünen sauste. Jarvis, der den Picknickkorb und eine Decke und Romilys Sporttasche voller Kleidung und Eimern und Schaufeln und Sonnencreme und Hüten trug, sprang in großen Sätzen voran und nahm Posie beiläufig an der Hand. Romily folgte ihnen. Sie trug die Handtücher und trat vorsichtig in den abschüssigen Sand. Ihr Körperschwerpunkt hatte sich verändert. Als sie das Wasser erreichte, hatte Jarvis längst die Ausrüstung hingeworfen, und Posie und er rannten jubelnd auf die Brandung zu.
Posie trug einen Badeanzug unter ihren Anziehsachen, aber natürlich hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, sich auszuziehen, sodass alles klitschnass werden würde. Romily überlegte, ihr nachzulaufen und ihr Shorts und Hemd abzunehmen, doch die beiden amüsierten sich bereits bestens, und sie hatte Kleider zum Wechseln dabei. Also breitete sie die Decke in einem gehörigen Abstand von der nächsten Familie aus und setzte sich, entledigte sich ihrer Sandalen und vergrub die Füße im warmen Sand.
Es war ein schöner Tag: sonnig mit einer leichten Brise. Am Strand war viel los, aber er war nicht überfüllt, man hörte glückliches Kindergeschrei und den Rhythmus der Brandung. Über das Wasser konnte sie die Isle of Wight sehen. Sie atmete die freie Luft ein. Wie es aussah, hätte sie nicht mitzukommen brauchen, jedenfalls was Posie betraf. Die war vollauf glücklich mit ihrem neuen aufregenden Spielgefährten. Doch das Nickerchen im Wagen war wunderbar gewesen. Sie schlief nicht genug. Und es war gut, einen Tag rauszukommen.
Jarvis trug ein T-Shirt und abgenutzte knielange Shorts, und Posie und er jagten den Strand auf und ab den Wellen nach. Posies Haare flatterten im Wind, und Jarvis lachte. Kein Außenstehender hätte sie für etwas anderes alsVater und Tochter gehalten.
Wie lange würde er im Land bleiben? Eine Sache, die er in seinen Geschichten nicht erwähnt hatte, war eine Ehefrau oder eine Freundin. Doch nach all der Zeit musste es jemanden geben. Es musste einen Grund geben, warum er überhaupt nach England zurückgekehrt war. Romily wusste, dass Posies Vorstellung, wie sie alle zusammen als große glückliche Familie in Bens und Claires Haus lebten, nie Wirklichkeit werden würde. Aber wie sollten sie ihr Leben denn einrichten, sie drei?
»Romily!« Posie kam auf sie zugelaufen, ihre Füße rutsch ten immer wieder im Sand aus. Wie zu erwarten, war sie bis auf die Haut durchnässt. »Komm mitspielen!«
»Du hast doch Spaß mit Jarvis«, entgegnete Romily. »Du brauchst mich nicht.«
»Wir wollen dich aber dabeihaben!« Posie ergriff ihre Hand mit kalten, meernassen Fingern und zog. »Es macht Spaß.«
Romily stand auf und folgte Posie. Jarvis wartete auf sie beide, knöcheltief im hin- und herwogenden Wasser, die Haare vom Wind zerzaust. Er grinste sie an, die Art Grinsen, die sie seit acht Jahren nicht von ihm zu sehen bekommen hatte, und selbst damals äußerst selten. Es ließ ihn jünger wirken.
»Deine Tochter meint, sie kann dem Meer kraft ihres Willens Befehle erteilen«, sagte er.
»Zuzutrauen wäre es ihr.«
»Machen wir es gemeinsam.« Posie streckte die freie Hand aus und ergriff Jarvis’ Hand. »Eins, zwei, drei, laufen!«
Zusammen stürmten sie in die Brandung und jagten der Welle hinterher. Sie schäumte ihnen davon, und der Sand knirschte unter ihren Füßen. »Bleib gefälligst da hinten!«, schrie Posie, und dann kreischte sie, als das Wasser wieder angeschossen kam, und lief zwischen Romily und Jarvis den Strand hinauf.
»Es gibt da eine Sache namens Gezeiten«, setzte Romily an, doch schon rannten sie wieder zum Meer zurück, als es sich zurückzog, und wieder den Strand hoch, als es anstieg. Atemlos, lachend, Salz auf den
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