All unsere Traeume - Roman
Baby wirkt so groß«, flüsterte sie. Ben ergriff ihre Hand in dem abgedunkelten Zimmer, und sie starrten auf dieses Fenster in Romilys Körper.
»Es sieht schon wie ein kleiner Mensch aus, nicht wahr?«, fragte er.
»Mit zwanzig Wochen ist das Baby ungefähr so groß wie eine Banane«, sagte die Radiologieassistentin fröhlich. »Alles sieht gut aus. Möchten Sie das Geschlecht wissen?«
Claire betrachtete den Bildschirm mit zusammengekniffenen Augen. Dank der angezogenen Beine konnte sie es nicht erkennen. »Möchten wir es wissen?«, fragte sie Ben.
»Findest du es nicht besser, wenn es eine Überraschung ist?«
Romily blickte von ihrem Buch auf. Sie hielt es knapp über ihrem Bauch. »Ihr möchtet dem kleinen Dings keinen Namen geben?«
Die Radiologieassistentin lachte. »Sie nennen es Dings?«
»Eine Art Spitzname«, erklärte Claire rasch für den Fall, dass die Assistentin sie für merkwürdig hielt, weil sie einem Baby einen derart unpersönlichen Namen gaben. Obgleich die Assistentin sehr nett gewesen war und kein bisschen überrascht reagiert hatte, als Romily erläuterte, dass sie die Leihmutter sei und Claire und Ben die richtigen Eltern. »Romilys Tochter hat damit angefangen, und er ist hängen geblieben.«
»Er gefällt mir«, sagte die Assistentin und tippte etwas in ihren Computer. »Er ist besser als so mancher andere Name, den ich hier zu hören bekomme, das können Sie mir glauben. Letzte Woche hatte ich ein Paar, das sein Baby James Tiberius Kirk genannt hat. Nach dem Captain aus Star Trek .«
»Das sind hohe Erwartungen an jemanden, der noch nicht einmal aus dem Bauch heraus ist«, sagte Romily. »Vielleicht hat das Kind gar nichts für Raumfahrt übrig.«
»Tja«, stellte die Assistentin fest. »Dings scheint völlig gesund zu sein und eine gute Größe zu haben. Möchten Sie ein Foto mitnehmen? Eins oder zwei?«
»Eins reicht völlig«, erwiderte Romily. Sie widmete sich wieder ihrem Buch.
Während Romily sich anzog, nahm Claire das Foto mit hinaus ins Wartezimmer. Sie und Ben standen da, steckten die Köpfe zusammen und starrten es an. Ihre Zukunft.
»Ich kann kaum glauben, dass das Baby so sehr gewachsen ist«, sagte sie.
»Das viele Bioessen macht sich bezahlt.« Ben küsste sie auf die Wange. »Fühlt es sich jetzt real für dich an?«
Sie fuhr den Umriss des Babys mit der Fingerspitze nach. »Das tut es.« Sie grinste Ben an. »Das tut es wirklich.«
Sie hielt es an ihren Körper, ganz dicht, als würde Dings in ihrem Innern heranwachsen.
Flugsand
E s war Jarvis’ Einfall: ein Tag am Meer, gegen Ende der Sommerferien, um einander besser kennenzulernen. Er lieh sich einen Mercedes von einem Freund, obwohl Romily ihm sagte, dass es ihr Golf auch tun würde, und packte Picknicksachen ein, obwohl Romily ihm sagte, sie wisse wirklich, wie man Sandwiches mache, und holte sie am Morgen vor ihrerWohnung ab. Er wartete bei laufendem Motor im Auto auf sie, während sie tausend Sachen zusammensuchte, die man für einen Tag am Strand benötigte. Posie bestand darauf, vorne zu sitzen, also saß Romily allein hinten und schloss die Augen und lauschte der Rockmusik im Radio und der Brise, die durch die offenen Fenster hereinblies, und dem unablässigen Redefluss zwischen ihrer Tochter und dere n Vater. Sie schienen viel zu besprechen zu haben. Posie war natürlich auch sonst nie auf den Mund gefallen, aber Jarvis verfügte dank seiner Reisen um die Welt mit der Kamera über einen wahren Schatz an Anekdoten und schlug Posie völlig in seinen Bann.
Die Geschichten waren nicht für Romilys Ohren bestimmt, aber sie konnte nicht anders als zuzuhören. Er war auf einem Elefanten in Indien geritten und in Peru von Lamas angespuckt worden. Sein Zelt war in Botswana von Pavianen geplündert worden, und er hatte in Neuguinea sieben Tage lang wegen eines Paradiesvogels auf der Lauer gelegen. Trotz Tabletten hatte er Malaria gehabt und hatte zwölfeinhalb Kilo abgenommen. Als er in Bolivien von einem Baum fiel, hatte er sich das Handgelenk gebrochen, und er war trotzdem wieder hinaufgeklettert, um die Aras weiterzufilmen, denn das nächste Krankenhaus war zwei Tagesreisen entfernt, und er dachte sich, er könnte ebenso gut erst das Filmmaterial schießen, bevor er gezwungen war, sich eine Woche lang in La Paz verarzten zu lassen.
Vor langer Zeit einmal hatte sich Romily ein solches Leben erträumt. Natürlich nicht das gebrochene Handgelenk oder die Malaria. Jarvis bereute es offenkundig
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