Allan Quatermain
Kopf, und sie biß sich wütend auf die Unterlippe.
Als Nylephta merkte, daß es nun ohnehin nichts mehr nützte, die Affäre geheimzuhalten, entschloß sie sich, die Frage ihrer Schwester auf eine neue und höchst wirkungsvolle Art zu beantworten. Ich bin sicher, daß sie dazu inspiriert worden war aus Koketterie und dem Wunsch, das Gefühl des Triumphes über ihre Rivalin voll auszukosten.
Sie erhob sich von ihrem Thron und rauschte in der ganzen Pracht ihrer königlichen Anmut zu dem Platz, an dem sich ihr Geliebter befand. Sie blieb vor ihm stehen und löste die goldene Schlange von ihrem Arm. Dann bat sie ihn, sich niederzuknien. Als nächstes nahm sie die goldene Schlange in beide Hände und legte ihm das weiche Metall sanft um den Hals. Als es fest saß, küßte sie ihn bedächtig auf die Stirn und nannte ihn ihren »geliebten Herrn«.
»Du siehst«, sagte sie, nachdem das aufgeregte Gemurmel der Zuschauer verebbt war, »ich habe meinen Kragen um den Hals des ›Wolfes‹ gelegt und siehe! Er soll mein Wachhund sein. Das ist meine Antwort für dich, meine Schwester, und für die, welche in deinem Gefolge sind. Fürchte dich nicht«, fuhr sie fort, indem sie ihren Geliebten sanft anlächelte und mit dem Finger auf die goldene Schlange deutete, die sie um seinen starken Hals geschlungen hatte. »Wenn mein Joch auch schwer ist, so ist es doch aus purem Golde, und es soll dich nicht peinigen.«
Dann wandte sie sich der Menge zu und verkündete mit klarer, stolzer Stimme: »Herrin der Nacht, Fürsten, Priester und alle anderen, die ihr hier versammelt seid, höret, was ich euch zu sagen habe: Hiermit, mit diesem Zeichen, nehme ich den Fremden zum Manne, hier, vor euch allen. Ich bin eine Königin; sollte ich nicht frei den Mann wählen dürfen, den ich lieben will? Sollte ich weniger Rechte haben als das einfachste Mädchen aus meinen Provinzen? Nein! Er hat mein Herz gewonnen, und mit ihm meine Hand und meinen Thron und alles, was ich habe. Ja, und wäre er ein Bettler gewesen und nicht der große und schöne Herr, der stärker und schöner ist als jeder von euch, und der mehr Weisheit besitzt und Kenntnisse von fremdartigen Dingen, als jeder einzelne von euch, auch dann hätte ich ihm alles zu Füßen gelegt. Um wieviel lieber jedoch gebe ich ihm erst alles, da er so ist, wie er ist!« Und dann nahm sie seine Hand und blickte ihn voller Stolz an. Und mutig stellte sie sich mit ihm an der Hand vor die Menge. So groß waren der Liebreiz und die Kraft und die Würde, die ihre Person ausstrahlte, und so bezaubernd schön sah sie aus, wie sie da Hand in Hand an der Seite ihres geliebten Mannes stand, seiner und ihrer selbst so sicher, und so bereit, alle Gefahren auf sich zu nehmen und alle Leiden für ihn zu erdulden, daß die meisten von jenen, die Zeuge dieses Anblicks waren – und sicherlich wird keiner von jenen diesen Anblick jemals vergessen –, von dem Feuer, das aus ihren Augen leuchtete und von dem Liebreiz, der auf ihren geröteten Wangen loderte, ergriffen wurden und ihr frenetisch zujubelten. Es war ein kühner Streich, zu dem sie da ausgeholt hatte, und er appellierte stark an das Gefühl; aber die menschliche Natur ist nun einmal so beschaffen (und Zu-Vendis bildet da keine Ausnahme), daß sie die Kühnheit liebt und den, der sich nicht scheut, althergebrachte Regeln zu brechen, und darüber hinaus reagiert sie besonders empfindlich im positiven Sinne, wenn man an den poetischen Bereich ihres Wesens rührt.
Und also jubelten die Menschen, daß der Palast in seinen Grundfesten zu zittern schien.
Und Sorais, die Herrin der Nacht, stand da mit gesenktem Blick, konnte sie es doch nicht ertragen, zusehen zu müssen, wie ihre Schwester in vollen Zügen den Triumph genoß, der sie des Mannes beraubte, den zu erringen sie gehofft hatte. Und in ihrer rasenden Eifersucht und ihrem lodernden Haß zitterte sie wie Espenlaub, und ihr Gesicht wurde weiß wie eine Wand. Ich glaube, ich erwähnte schon einmal, daß sie mich an die See an einem ruhigen Tag erinnerte, an jenen Eindruck schlummernder Gewalt. Und nun war diese Kraft erwacht, und wie das Gesicht des wütenden Ozeans erfüllte sie mich mit Furcht und faszinierte mich zugleich. Eine schöne Frau in heiligem Zorn ist von jeher ein bezaubernder Anblick gewesen, doch solche Wut, gepaart mit solcher Schönheit, hatte ich nie zuvor gesehen, und ich kann nur sagen: die so entstandene Wirkung war in der Tat beider würdig.
Sie hob ihr weißes Gesicht, ihre
Weitere Kostenlose Bücher