Allan Quatermain
»Ich überraschte die ›Herrin der Nacht‹ vor dem Bette der Weißen Königin, und an meiner Brust zerbrach der Dolch.«
»Wer ist auf meiner Seite?« schrie Sorais und schüttelte wie wild ihren silbernen Speer. Sie sah, daß sich die Stimmung in der Menge immer mehr gegen sie wandte. »Und du, Bougwan, du willst mir nicht nachfolgen?« sagte sie mit leiser, gepreßter Stimme zu Good, der dicht neben ihr stand. »Du armseliger Tor; als Lohn dafür sollst du dich auf immer nach mir verzehren, doch dein Begehren, meine Liebe zu erlangen, soll niemals erfüllt werden! Und du hättest mein Gemahl und König sein können! Zumindest dich halte ich an einer Kette, die niemals gesprengt werden kann.
Krieg! Krieg! Krieg!« schrie sie mit gellender Stimme. »Hier, mit dieser meiner Hand, die ich auf den heiligen Stein lege, der – so sagt es die Legende – fortdauern wird, bis die Zu-Vendi ihren Rücken unter ein fremdes Joch beugen müssen, erkläre ich Krieg bis zum bitteren Ende. Wer ist bereit, Sorais, der Herrin der Nacht, auf dem Wege zu Sieg und Ruhm zu folgen?«
Auf der Stelle entstand ein riesiges Wirrwarr in der großen Halle. Viele der Anwesenden beeilten sich, sich auf Sorais' Seite zu schlagen, aber es gab auch einige, die von ihrer Seite zu uns herüberkamen. Unter den ersteren befand sich auch ein Unteroffizier aus Nylephtas persönlicher Leibgarde. Er wandte sich plötzlich um und begann auf den Eingang zuzulaufen, durch den Sorais' Leute sich schon auf den Weg nach draußen machten. Umslopogaas schaltete blitzschnell – er hatte mit bewundernswerter Geistesgegenwart erkannt, daß weitere seinem Beispiel folgen würden, wenn es ihm erst gelänge, zum Ausgang zu kommen. Er schnellte hinter dem Manne her und packte ihn, kurz bevor er die Tür erreicht hatte. Der Soldat zog sein Schwert und hieb damit nach dem Zulu. Dieser sprang mit einem wilden Schrei zurück und wich damit dem Schwerthieb aus. Und schon kreiste seine Axt und fiel mit einem krachenden Geräusch auf den Schädel des Mannes. Sekunden später hatte den Gardisten sein Schicksal ereilt, und tödlich getroffen schlug er mit einem klirrenden Laut auf den Marmorboden.
Dies war das erste Blut, das in diesem Krieg vergossen werden sollte.
»Schließt die Tore!« schrie ich, in der Hoffnung, daß wir vielleicht so Sorais habhaft werden konnten. Sakrileg oder nicht – darauf pfiff ich in diesem Moment. Aber leider kam der Befehl zu spät; ihre Gefolgsleute drängten schon durch die Tore nach draußen, und Sekunden später hallten schon die Straßen von den Hufen ihrer Pferde und dem dröhnenden Poltern ihrer Triumphwagen wider.
Und so stürmte Sorais, fast die Hälfte des Volkes in ihrem Gefolge, wie ein Wirbelwind durch die Straßen der finster blickenden Stadt, um alsbald ihr Hauptquartier in M'Arstuna zu erreichen, einer Festung die etwa hundertdreißig Meilen nördlich von Milosis liegt.
Von da an war die Stadt mit lebhaftem Treiben erfüllt. Regimenter zogen durch die Straßen und sammelten sich, und überall wurden die nötigen Vorbereitungen für den bevorstehenden Krieg getroffen. Und wieder saß der alte Umslopogaas in der Sonne und führte das Schauspiel vor, wie er Inkosi-kaas' rasiermesserscharfe Klinge wetzte.
19
Eine seltsame Hochzeit
Einer Person jedoch war es nicht gelungen, noch rechtzeitig zu entkommen, bevor die Tore des Palastes geschlossen wurden; diese Person war niemand anderes als der Hohepriester Agon, der, wie wir allen Grund hatten anzunehmen, Sorais' großer Bundesgenosse und Herz und Seele ihres ganzen Haufens war. Dieser hinterhältige und grausame alte Mann hatte uns den Zwischenfall mit den Flußpferden noch immer nicht verziehen; zumindest schob er das immer als Hauptgrund für seine Feindseligkeit uns gegenüber vor. Was dahintersteckte, war klar: Er wollte um jeden Preis verhindern, solange das noch irgend möglich war, daß unsere freiere Geisteshaltung und unsere fremdländische Gelehrsamkeit in Zu-Vendis Schule machten und unser Einfluß noch größer wurde, als er es ohnehin schon war. Auch wußte er, daß wir ein anderes Religionssystem besaßen, und zweifelsohne plagte ihn ständig die Furcht, daß wir versuchen würden, es in Zu-Vendis einzuführen. Eines Tages hatte er mich gefragt, ob es in unserem Lande auch eine Religion gäbe, und darauf hatte ich geantwortet, daß wir meines Wissens sogar fünfundneunzig verschiedene davon aufzubieten hätten. Diese Antwort hatte ihn fast vom
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