Allan Quatermain
leidenschaftliche Aufrichtigkeit und Direktheit; vielleicht war es auch seine schier übermenschliche Geschicklichkeit und Kraft, was ich an ihm so bewunderte; vielleicht war es auch allein die Tatsache, daß er so absolut einzigartig war. Ich muß freimütig bekennen: Obwohl ich während meines Lebens viele Wilde kennengelernt habe; nie habe ich einen Mann kennengelernt, der ihm ähnlich war; er war so weise, und zugleich naiv wie ein Kind. Und – so lächerlich sich das auch anhören mag – er hatte, wie jener Held aus der Yankee-Parodie, »ein weiches Herz«. Nun, jedenfalls mochte ich ihn sehr; ich wäre jedoch nie auf den Gedanken gekommen, ihm das zu sagen.
»Jaja, du alter Wolf«, sagte ich, »deine Liebe ist schon eine sehr seltsame. Du würdest mir schon morgen den Schädel bis zum Kinn spalten, wenn ich dir im Wege stünde.«
»Du sprichst die Wahrheit, Macumazahn. Das würde ich auch tun, wenn die Pflicht es von mir verlangte. Aber dennoch würde ich dich lieben, wenn der Hieb sein Ziel erreicht hätte. Sag, Macumazahn, glaubst du, daß ich bald wieder die Möglichkeit habe, Inkosi-kaas zu schwingen?« fuhr er mit einschmeichelnder Stimme fort. »Mich dünkt, daß das, was ich in der letzten Nacht sah, bedeutet, daß die beiden großen Königinnen Streit miteinander haben. Sonst hätte die ›Herrin der Nacht‹ nicht den Dolch bei sich getragen.«
Ich bestätigte seine Vermutung und erklärte ihm, daß die beiden ziemlichen Ärger miteinander hatten. Dann erzählte ich ihm rundheraus, wie die Dinge standen, und daß sie sich wegen Incubu in die Haare geraten waren.
»Ah! Ist es so?« rief er und machte vor Freude einen Luftsprung. »Wenn es so ist, dann wird Krieg sein, so sicher, wie der Fluß nach einem Regen anschwillt. Ein Krieg bis zum bitteren Ende! Frauen lieben den letzten Schlag genauso wie das letzte Wort, und wenn sie für die Liebe kämpfen, dann sind sie so gnadenlos wie ein verwundeter Büffel. Ich sage dir, Macumazahn: eine Frau schwimmt durch Blut, ohne sich etwas dabei zu denken. Mit meinen eigenen Augen habe ich es einmal gesehen, und noch ein zweites Mal. Oh, Macumazahn, wir werden noch erleben, wie diese schöne Stätte von Häusern in Flammen aufgeht, und wir werden hören, wie die Schlachtrufe durch die Straßen hallen. So bin ich nun doch nicht umsonst gewandert. Kann dieses Volk kämpfen? Was glaubst du?«
In diesem Augenblick trat Sir Henry ein. Kurz darauf kam auch Good, jedoch aus einer anderen Richtung. Er sah blaß und hohläugig aus. Als Umslopogaas Good erblickte, hörte er mit seiner blutrünstigen Schwelgerei auf und begrüßte ihn.
»Ah, Bougwan!« rief er. »Sei gegrüßt, o Häuptling! Sicher bist du müde. Hast du in der letzten Nacht zuviel gejagt?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort:
»Höre, Bougwan, ich will dir eine Geschichte erzählen; sie handelt von einer Frau, und du wirst sie sicher hören wollen, ist es nicht so?
Es war ein Mann, und der hatte einen Bruder. Und da war eine Frau, die liebte den Bruder des Mannes und wurde von dem Mann geliebt. Aber der Bruder des Mannes hatte eine andere Frau und liebte die Frau nicht, sondern verspottete sie. Aber die Frau, die sehr verschlagen war und Rache in ihrem Herzen trug, beratschlagte mit sich selbst und sagte zu dem Mann: ›Ich liebe dich, und wenn du einen Krieg gegen deinen Bruder machst, dann werde ich deine Frau.‹ Und er wußte, daß es eine Lüge war, und dennoch, weil er die Frau sehr liebte, lauschte er ihren Worten und machte einen Krieg. Und als schon viele Menschen getötet waren, schickte sein Bruder nach ihm und fragte ihn: ›Warum machst du Krieg gegen mich? Was habe ich dir angetan? Habe ich dich nicht von Kindesbeinen an geliebt? Und als du klein warst, habe ich dich da nicht genährt und aufgezogen? Und sind wir nicht zusammen in den Krieg gezogen und haben das Vieh brüderlich geteilt, Frau für Frau, Ochse für Ochse und Kuh für Kuh? Warum willst du mich töten, Bruder, Sohn meiner eigenen Mutter?‹
Und das Herz des Mannes war schwer, und er wußte, daß er auf einem bösen Pfade wandelte, und er widerstand der Versuchung der Frau und hörte auf, Krieg gegen seinen eigenen Bruder zu führen. Und sie lebten wieder zusammen in Frieden in ihrem Kraal. Und nach einer Weile kam die Frau zu dem Mann und sprach zu ihm: ›Ich habe die Vergangenheit verloren, ich will deine Frau sein.‹ Und tief in seinem Herzen wußte er, daß es eine Lüge war, und daß sie Böses im
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