Allan Quatermain
Verbrechen will meine Schwester mich doch zum Tode verurteilen, und nicht, weil ich Krieg gegen sie geführt habe. Vielleicht war es dein Glück, Nylephta, daß ich zu spät versuchte, seine Liebe zu erringen.
Höre«, fuhr sie fort und hob ihre Stimme. »Ich habe nichts weiter zu sagen, außer, daß ich wünschte, ich hätte gewonnen, statt zu verlieren. Mach mit mir, was du willst, o Königin, und laß meinen Herrn, den König ...« – sie zeigte dabei auf Sir Henry – »denn von nun an wird er der König sein, das Urteil verkünden, wie es sich geziemt, denn er ist der Anfang allen Übels, und so laß ihn auch das Ende sein.« Und sie reckte sich stolz empor, warf ihm einen kurzen, wütenden Blick aus ihren tiefen, dunklen Augen zu und begann, mit ihrem Speer zu tändeln.
Sir Henry beugte sich zu Nylephta hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr, und dann sprach Nylephta.
»Sorais, ich bin dir immer eine gute Schwester gewesen. Als unser Vater starb und die Meinungen im Lande weit auseinandergingen, ob du mit mir auf dem Throne sitzen solltest oder nicht, war ich doch die Ältere von uns beiden, da erhob ich meine Stimme für dich und sagte: ›Nein, laßt sie den Thron mit mir teilen. Sie ist meine Zwillingsschwester; wir erblickten bei derselben Geburt das Licht der Welt; warum also sollte die eine den Vorzug vor der anderen erhalten?‹ Und so war es immer zwischen dir und mir, Schwester. Und so hast du es mir also zurückgezahlt. Aber ich habe obsiegt, und du hast dein Leben verwirkt, Sorais. Und doch bist du meine Schwester; du bist zugleich mit mir geboren, und wir spielten zusammen, als wir klein waren, und wir liebten uns über alle Maßen, und nachts schliefen wir zusammen in demselben Bette und hielten einander fest umschlungen, und darum fühlt sich mein Herz auch jetzt noch mit dir verbunden, Sorais.
Doch nicht aus diesem Grunde will ich dir das Leben schenken, denn zu schlimm war deine Schandtat; so schwer war dein Vergehen, daß es die weiten Schwingen meiner Gnade schier bis auf den Boden hinunterdrückt. Und ich weiß, solange du lebst, wird das Land keinen Frieden haben.
Und doch sollst du nicht sterben, Sorais, denn mein geliebter Gemahl bat mich, Gnade walten zu lassen; und so will ich ihm denn dein Leben als mein Hochzeitsgeschenk zu Füßen legen; mag er darüber verfügen, wie ihm beliebt; denn ich weiß, Sorais, auch wenn du ihn liebst, so erwidert er doch nicht deine Liebe, trotz all deiner Schönheit. Und obwohl du so lieblich bist wie die Nacht im Glanze ihrer Sterne, o Sorais, Herrin der Nacht, so bin doch ich es, seine Frau, die er mit all seinem Herzen liebt, und nicht du. Und darum lege ich ihm dein Leben zu Füßen.«
Sorais errötete heftig und sagte nichts. Ich glaube nicht, daß ich jemals einen Mann unbehaglicher habe dreinblicken sehen als Sir Henry in jenem Moment. Die Art und Weise in der Nylephta die Sache hinstellte, war – so wahr und überzeugend es auch klang – alles andere als angenehm für ihn.
»Wie ich weiß«, stotterte Curtis, an Good gewandt, »wie ich weiß ... äh ... ich meine, wie ich gehört habe, warst du ... ich meine, bist du der Königin Sorais ... äh ... sehr zugeneigt. Ich weiß nicht ... äh ... wie ... also ich meine ... äh ... ich will sagen, ich weiß nicht, welcher Art deine Gefühle ihr gegenüber jetzt sind; aber wenn sie noch immer so sind wie früher, dann finde ich ... also kurzum: ich meine, da wäre eine schöne und zufriedenstellende Lösung für dieses unangenehme Problem. Sie besitzt große private Ländereien, auf denen sie bestimmt – da bin ich ganz sicher – unbehelligt und in Freiheit leben könnte. Du hast doch auch nichts dagegen, nicht wahr, Nylephta? Es ist natürlich bloß ein Vorschlag.«
»Was mich betrifft«, sagte Good, wobei er heftig errötete, »so bin ich gewillt, das Geschehene zu vergessen; und wenn die Herrin der Nacht mich als würdig erachtet, dann möchte ich sie gerne heiraten – morgen, oder wann immer es ihr recht ist, und versuchen, ihr ein guter Ehemann zu sein.«
Alle Augen waren jetzt auf Sorais gerichtet, auf deren Zügen wieder dasselbe hintergründige Lächeln lag, das mir schon aufgefallen war, als ich sie zum erstenmal gesehen hatte. Sie schwieg eine ganze Weile. Schließlich räusperte sie sich und dann verbeugte sie sich dreimal tief, zuerst vor Nylephta, dann vor Curtis, und schließlich vor Good und hub an zu sprechen, diesmal in sehr zurückhaltendem Ton.
»Ich danke dir, o
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