Allan Quatermain
weiterer Diener halfen mir, das Vorzimmer zu erreichen. Ich war noch vor den anderen da; außer mir befanden sich nur einige der höheren Offiziellen des Hofes, um deren Anwesenheit man ebenfalls gebeten hatte, in dem Zimmer. Ich hatte kaum Platz genommen, als auch schon Sorais von der Wache hereingeführt wurde. Sie war so schön wie eh und je, und in ihren Zügen lag derselbe herausfordernde Trotz, den sie schon zur Schau getragen hatte, als ich sie das letzte Mal sah. Doch sie wirkte müde und abgekämpft. Sie trug wie gewöhnlich ihren königlichen ›Kaf‹, der mit dem Sonnenemblem bestickt war, und in der rechten Hand hielt sie noch immer den kleinen silbernen Speer. Ein Stich ging mir durchs Herz, gleichermaßen aus Bewunderung und aus Mitleid. Ich erhob mich mühsam und machte eine tiefe Verbeugung vor ihr. Gleichzeitig gab ich ihr mein Bedauern zum Ausdruck, daß ich aufgrund meines schlimmen Zustandes nicht aufrecht vor ihr stehenbleiben konnte.
Sie errötete ein wenig und sagte mit einem bitteren Lächeln: »Du vergißt, Macumazahn, ich bin keine Königin mehr, außer vom Geblüte her; ich bin eine Ausgestoßene und eine Gefangene, eine, die von allen verachtet werden muß und der man keine Ehrerbietungen mehr erweisen darf.«
»Schließlich bist du immer noch eine Dame«, erwiderte ich, »und daher geziemt es sich immer noch, dir Achtung und Respekt zu zollen, umso mehr, als du dich in einer schlimmen Lage befindest.«
»Vergiß nicht«, gab sie mit einem Lächeln zur Antwort, »daß ich dich in Blätter aus Gold einwickeln und an der Fanfare des Engels an der höchsten Zinne des Tempels aufhängen wollte.«
»Nein«, antwortete ich, »ich versichere dir, daß ich das nicht vergessen habe; im Gegenteil: oft habe ich daran gedacht, dann, wenn es mir schien, daß sich das Kriegsglück bei der Schlacht am Paß gegen uns wendete. Aber die Fanfare ist dort, und ich bin noch immer hier, wenn auch wohl nicht mehr lange. Warum also jetzt große Worte darüber verlieren?«
»Ah«, rief sie, »diese Schlacht! Diese Schlacht! Oh, ich wünschte, ich könnte noch einmal Königin sein, und wenn es nur für eine einzige Stunde wäre! Welch fürchterliche Rache ich nehmen würde an jenen verfluchten Schakalen, die mich in der höchsten Not im Stich ließen! Diese Weiber! Diese Bastarde mit dem Herzen einer Taube, die vor lauter Angst, besiegt zu werden, vergingen!« Und sie erstickte fast an ihrer grimmigen Wut.
»Ah, und jene feige Memme dort an deiner Seite«, fuhr sie fort und zeigte mit dem kleinen silbernen Speer auf Alphonse, worauf dieser erschreckt zusammenfuhr und ein äußerst unbehagliches Gesicht machte; »er entkam und verriet meine Pläne. Ich versuchte, einen General aus ihm zu machen und ihm Tapferkeit einzuprügeln. Den Soldaten erzählte ich, es wäre Bougwan.« Alphonse zitterte vor Angst, als diese unangenehme Erinnerung wieder in ihm aufgerührt wurde. »Aber es half nichts. Er verbarg sich unter einem Banner in meinem Zelt und hörte so alle meine Pläne mit. Ich wünschte, ich hätte ihn getötet, doch leider beherrschte ich mich.
Und du, Macumazahn, ich hörte, was du getan hast; du bist tapfer, und du hast ein redliches Herz. Und der Schwarze, ah, das war ein wahrer Mann. Nur zu gern wäre ich zugegen gewesen, als er Nasta von der Treppe hinunterschleuderte!«
»Du bist eine wunderliche Frau, Sorais«, sagte ich; »ich bitte dich inständig, flehe Nylephta an, auf daß sie Gnade gegen dich walten lasse!«
Sie lachte schallend. » Ich soll um Gnade winseln!« Im selben Moment trat die Königin in das Zimmer, begleitet von Sir Henry und Good, und nahm Platz. Ihr Gesicht verriet keinerlei Bewegung. Der arme Good machte ein äußerst unbehagliches Gesicht.
»Sei gegrüßt, Sorais!« sagte Nylephta nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Du hast das Königreich zerrissen wie einen Fetzen Stoff, du hast Tausende von Menschen um ihr Leben gebracht, du hast zweimal niederträchtige Verschwörungen angezettelt, mit dem Ziel, mein Leben durch Mord zu vernichten, du hast geschworen, meinen Gemahl und seine Gefährten zu töten und mich von der großen Treppe zu werfen. Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen? Sprich, Sorais!«
»Mich dünkt, meine königliche Schwester vergaß, den Hauptpunkt der Anklage zu erwähnen«, antwortete Sorais in ihrer ruhigen, melodischen Stimme. »Er lautet so: ›Du warst bestrebt, die Liebe meines Herrn Incubu für dich zu gewinnen.‹ Und für dieses
Weitere Kostenlose Bücher