Allan Quatermain
durchschaute es sofort und beharrte auf meinem Wunsch. Schließlich reichte er mir eine der Scheiben aus blankpoliertem Silber, die in einem hölzernen Rahmen stecken und in Zu-Vendis als Spiegel dienen. Ich schaute hinein und ließ ihn sogleich wieder sinken.
»Aha«, sagte ich und versuchte, meiner Stimme einen möglichst ruhigen Klang zu geben, »ich dachte es mir doch; und du willst mir weismachen, ich wäre bald wieder ganz der Alte!« Ich wollte nicht, daß sie merkten, wie erschreckt ich selbst über mein Aussehen war. Mein graues, struppiges Haar war schneeweiß geworden, und mein gelbes Gesicht war eingefallen wie das einer alten Frau. Um meine Augen lagen tiefe, purpurrote Ringe.
Nylephta fing an zu weinen, und Sir Henry wechselte erneut schnell das Thema. Er sagte mir, daß die Künstler einen Abdruck vom Körper des toten Umslopogaas gemacht hätten, und daß sie eine große Statue aus schwarzem Marmor errichten wollten, die ihn zeige, wie er gerade den heiligen Stein zerschmetterte. Ihr gegenüber sollte eine zweite Statue aus weißem Marmor errichtet werden, die mich auf dem Pferd Daylight darstellte, und zwar in dem Moment, als es am Ende jenes wilden Rittes im Hofe des Palastes unter mir zusammenbricht. Ich habe diese Statuen noch mit eigenen Augen sehen können. Sie sind jetzt, da ich dies schreibe, das heißt, sechs Monate nach der Schlacht, nahezu vollendet. Und ich muß sagen, sie sind wirklich sehr schön geworden, besonders die von Umslopogaas; er ist wirklich genau getroffen. Meine eigene – nun, sie ist auch sehr gut geworden, aber für meinen Geschmack haben sie mein häßliches Gesicht ein wenig zu sehr idealisiert. Vielleicht muß das so sein. Schließlich darf man nicht vergessen, daß im Laufe der kommenden Jahrhunderte Tausende von Menschen diese Statue betrachten werden; und es ist wirklich nicht besonders angenehm, häßliche Dinge zu betrachten.
Dann erzählten mir Nylephta und Sir Henry, daß man Umslopogaas' letztem Wunsche entsprochen und ihn, anstatt ihn zu verbrennen, wie man es mit mir nach dem landesüblichen Brauch machen wird, mit angezogenen Knien nach dem Brauch der Zulu zusammengebunden hatte, um ihn, in eine dünne Folie aus Blattgold gehüllt, in einem Loch beizusetzen, das man in das Mauerwerk der halbkreisförmigen Plattform am oberen Ende der Treppe brach, die er so glorreich verteidigt hatte. Diese halbkreisförmige Plattform weist mit ihrer Rundung, soweit wir das beurteilen können, in die Richtung, in der Zululand liegt. Da hockt er nun, und wird es wohl für immer so tun, denn sie balsamierten seinen Leichnam ein und legten ihn in eine luftdichte steinerne Truhe, und schaut mit grimmigen Lächeln auf jene Stelle, die er allein gegen eine erdrückende Übermacht verteidigte; und die Leute sagen, des Nachts stehe sein Geist aus dem Sarge auf und schüttle drohend Inkosi-kaas gegen unsichtbare Feinde. Bestimmt fürchten sie sich, in der Dunkelheit jenen Ort zu passieren, an dem der Held seine letzte Ruhe gefunden hat.
Und seltsamerweise ist eine neue Legende oder Prophezeiung im Lande entstanden, auf jene unerklärliche Weise, in der so etwas eben bei ungebildeten, halbzivilisierten Völkern aufzutauchen pflegt; niemand weiß, wo es seinen Ausgang genommen hat, und plötzlich ist es einfach da. Diese Legende besagt, daß, solange der alte Zulu dort hockt und auf die Treppe herunterschaut, die er als Lebender verteidigte, solange auch wird die neue Dynastie der Treppe, die entstanden ist aus der Vereinigung des Engländers mit Nylephta, Bestand haben und blühen; doch wenn er einstmals von dort fortgenommen wird, oder wenn, Generationen später, seine Knochen schließlich zu Staub zerfallen, dann wird auch die Dynastie zerfallen, und die große Treppe wird zusammenstürzen, und die Nation der Zu-Vendi wird aufhören, eine Nation zu sein.
23
Ich habe gesprochen
Etwa eine Woche nach Nylephtas Besuch – ich hatte gerade damit begonnen, täglich um die Mittagszeit ein wenig im Zimmer auf- und abzugehen – wurde mir eine Botschaft von Sir Henry überbracht. Man wollte Sorais zur Mittagsstunde im ersten Vorzimmer der königlichen Schlafgemächer vor Nylephta und Sir Henry führen, und Sir Henry bat mich, falls es mir möglich wäre, dabeizusein. Von der Neugier getrieben, diese unglückliche Frau noch einmal zu sehen, machte ich mich sofort auf den Weg. Der freundliche kleine Alphonse, der mir zu einer unentbehrlichen Stütze geworden ist, und ein
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