Allan Quatermain
vergessenen Sterbenden aus grauer Vorzeit; und in Tausenden und Abertausenden von Jahren werden ihre Nachkommen dieselben Gedanken denken, und auch sie werden ihrerseits vergessen werden. »Wie der Atem des Ochsen im Winter, wie die Sternschnuppe, die über den Himmel jagt, wie ein kleiner Schatten, der sich beim Sonnenuntergang verliert«, so hörte ich einst einen Zulu namens Ignosi sagen, »so ist der Lauf des Lebens, jener Lauf, der nur ach so schnell vorbei ist.«
Nun, die Welt, die ich nun bald verlassen werde, ist keine gute Welt – niemand kann das behaupten, außer vielleicht jene, die ihre Augen wissentlich vor den Tatsachen verschließen. Wie kann eine Welt gut sein, in der der Mammon die alles bewegende Kraft und in der die Selbstsucht der Leitstern ist? Was einem so verwunderlich erscheint, ist nicht die Tatsache, daß sie so schlecht ist, sondern daß es überhaupt noch welche auf ihr gibt, die gut sind.
Und doch – nun, da mein Leben zu Ende ist, kann ich ruhigen Gewissens sagen, daß ich froh bin, gelebt zu haben; daß ich froh bin, den warmen Atem der Liebe einer Frau gespürt zu haben und jene wahre Freundschaft, die oft sogar stärker ist als die Liebe zwischen Mann und Frau. Ich bin froh, das Lachen kleiner Kinder gehört zu haben, die Sonne, den Mond und die Sterne gesehen zu haben, den Kuß der salzigen See auf meinem Gesicht gespürt und das Wild beobachtet zu haben, wie es des Nachts beim Schein des Mondes zum Wasser zieht. Doch möchte ich trotz alledem nicht noch einmal leben!
Wie anders doch alles um mich herum jetzt zu werden scheint! Die Dunkelheit rückt immer näher, und das Licht schwindet. Und doch scheint es mir, als könne ich durch den grauen Schleier der Finsternis schon manch ein längst vergessen geglaubtes Gesicht erkennen, das mich willkommen heißt. Ich sehe Harry; auch viele andere kann ich erkennen; doch alle Gesichter werden überstrahlt von dem der einen, jener meiner Meinung nach süßesten und vollkommensten Frau, die je auf dieser grauen Erde gewandelt ist. Doch über sie habe ich schon an anderer Stelle genug geschrieben; warum also nun über sie sprechen? Warum über sie sprechen nach dieser unendlich langen Stille, nun, da sie mir wieder so nahe ist, nun, da ich den Weg gehen werde, den sie schon lange vor mir gegangen ist?
Die untergehende Sonne verwandelt die goldene Kuppel des großen Tempels in eine hell lodernde Flamme, und meine Hand erlahmt.
Und so reiche ich nun allen, die mich gekannt haben, und all jenen, die ich gekannt habe, all jenen, die einen freundlichen Gedanken für den alten Jäger in ihrem Herzen haben, von dem fernen Ufer die Hand und sage ihnen Lebewohl.
Und nun befehle ich meinen Geist in die Hände des allmächtigen Gottes, der ihn einst sandte.
»Ich habe gesprochen« , wie die Zulu sagen.
24
Von einer anderen Feder
Ein Jahr ist vergangen, seit unser teurer Freund Allan Quatermain die Worte ›Ich habe gesprochen‹ schrieb, die am Ende seines Berichtes über unsere gemeinsamen Abenteuer stehen. Ich hätte niemals gewagt, diese Niederschrift mit irgendwelchen Ergänzungen zu versehen, hätte sich nicht ganz plötzlich durch einen höchst merkwürdigen Zufall die Möglichkeit ergeben, diese Aufzeichnungen nach England gelangen zu lassen. Die Chance ist nur sehr gering; aber da es sehr unwahrscheinlich ist, daß sich zu unseren Lebzeiten noch einmal eine solche eröffnet, haben Good und ich beschlossen, sie zu nutzen. Während der vergangenen sechs Monate haben diverse Grenzkommissionen die verschiedenen Grenzen von Zu-Vendis eingehend inspiziert, um herauszufinden, ob irgendwelche Möglichkeiten existieren, aus dem Land herauszukommen oder es zu betreten. Das Resultat war, daß sie einen Verbindungskanal zur Außenwelt entdeckten, der bisher gänzlich übersehen worden war. Dieser Verbindungsweg ist offensichtlich der einzige, der existiert. (Ich habe herausgefunden, daß über ihn der Eingeborene, der schließlich Mr. Mackenzies Missionsstation erreichte, in das Land gekommen war. Sein Auftauchen in Zu-Vendis wurde ebenso wie seine Vertreibung – er erreichte das Land tatsächlich drei Jahre vor uns – aus unerfindlichen Gründen von den Priestern, zu denen man ihn brachte, strikt geheimgehalten.) Er soll nun ein für allemal geschlossen werden. Doch bevor dies geschieht, wird ein Bote mit diesem Manuskript das Land verlassen. Darüber hinaus wird er ein oder zwei Briefe mitnehmen, die Good an seine Freunde
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