Allan Quatermain
bedachte, daß er sich praktisch in der Höhle des Löwen befand.
»Sprich weiter!« sagte Mr. Mackenzie.
»Ich bin der ›Lygonani‹ (Kriegshauptmann) einer Abteilung der Masai vom Guasa Amboni. Ich verfolgte mit meinen Männern diese drei weißen Männer« – er deutete auf Sir Henry, Good und mich –, »aber sie waren zu schlau für uns und konnten hierher fliehen. Wir haben mit ihnen einen Streit auszufechten und werden sie töten.«
»Werdet ihr das wirklich, mein Freund?« sagte ich mehr zu mir selbst.
»Als wir diese Männer verfolgten, fingen wir heute morgen zwei schwarze Männer, eine schwarze Frau, einen weißen Esel und ein weißes Mädchen. Einen der schwarzen Männer töteten wir – sein Kopf liegt dort auf dem Boden. Der andere konnte uns entkommen. Die schwarze Frau, das kleine weiße Mädchen und den weißen Esel nahmen wir mit. Als Beweis für das, was ich sage, habe ich diesen Korb mitgebracht. Das weiße Mädchen trug ihn bei sich. Ist es nicht der Korb deiner Tochter?«
Mr. Mackenzie nickte. Der Krieger fuhr fort: »Gut! Mit dir und deiner Tochter haben wir keinen Streit, wir wollen auch nichts von euch – nur dein Vieh. Wir haben es schon eingefangen – zweihundertvierzig Köpfe – ein Tier für den Vater eines jeden Kriegers.« *
Mr. Mackenzie seufzte tief; seine Viehherde bedeutete ihm sehr viel. Er hatte sie mit Sorgfalt und unter großen Mühen herangezogen.
»So. Außer daß wir dein Vieh nehmen, wird nichts geschehen, aber nur ...«, fügte er freimütig hinzu, wobei er einen Blick auf die Mauer warf, »weil dieser Platz zu schwer einzunehmen ist. Aber mit diesen Männern ist es etwas anderes! Tage und Nächte haben wir sie verfolgt; wir müssen sie töten. Wenn wir unverrichteter Dinge zu unserem Kraal zurückkehren, dann werden alle Mädchen uns verspotten und verhöhnen. So lästig es auch sein mag; sie müssen sterben.
Nun habe ich einen Vorschlag für dich. Wir möchten nicht gerne das kleine Mädchen töten; es ist zu hübsch, um ihm ein Leid zuzufügen. Auch ist es sehr tapfer. Gib uns einen dieser drei Männer – Leben gegen Leben –, und wir werden sie freilassen, dazu noch die schwarze Frau. Dies ist ein großzügiges Angebot, weißer Mann. Wir wollen nur einen, nicht alle drei. Wir werden eine andere Gelegenheit abwarten, bis wir auch die anderen beiden töten können. Ich suche mir nicht einmal den Mann heraus, der mir am besten gefallen würde – nämlich der Große dort« – er zeigte auf Sir Henry –, »er sieht sehr kräftig aus und würde nicht so schnell sterben.«
»Und wenn ich sage, ich liefere den Mann nicht aus?« fragte Mr. Mackenzie.
»Tu das nicht, weißer Mann!« erwiderte der Masai. »Denn in diesem Fall wird deine Tochter sterben, sobald der Morgen graut. Die Frau, die bei ihr ist, sagt, du hättest keine anderen Kinder. Wenn sie älter wäre, dann würde ich sie als Sklavin nehmen; da sie aber noch so jung ist, werde ich sie mit meinen eigenen Händen töten – mit diesem Speer. Wenn du willst, kannst du Zeuge ihrer Hinrichtung werden. Ich gebe dir freies Geleit dazu.« Dann lachte der Schurke aus vollem Halse über seinen brutalen Scherz.
In der Zwischenzeit hatte ich fieberhaft nachgedacht, wie man es häufig in Notsituationen tut. Ich war entschlossen, mich selbst gegen Flossie austauschen zu lassen. Ich wage kaum, das zu erwähnen, aus lauter Furcht, man könnte mich mißverstehen. Daß um Himmels willen bei keinem der Gedanke aufkomme, daran sei irgend etwas Heroisches oder sonst so ein Unsinn. Es war lediglich eine Frage des gesunden Menschenverstandes und zudem ein Gebot der Gerechtigkeit, die mich dazu verleiteten, mich als Tauschobjekt anzubieten. Mein Leben war alt und wertlos, ihres hingegen war jung und voller Zukunft. Ihren Tod hätten sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter kaum verwinden können; mein Tod hingegen hätte bei niemandem eine sonderlich große Lücke hinterlassen; im Gegenteil – gewisse wohltätige Institutionen hätten allen Grund gehabt, sich darüber zu freuen. Außerdem trug indirekt ich die Schuld daran, daß das liebe kleine Mädchen in diese schlimme Situation geraten war. Und nicht zuletzt war ich der Meinung, daß ein Mann weit besser dafür gewappnet war, dem Tode in einer so schrecklichen Gestalt zu begegnen, als ein kleines Kind. Das heißt nicht, daß ich beabsichtigte, mich von diesen Bestien langsam und grauenvoll zu Tode martern zu lassen – dazu steckt viel zuviel von einem Feigling in mir;
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