Alle auf Anfang - Roman
Kinderseite in Claudias Modezeitschrift, wer findet sie?
Alma findet Bela im Gästebad
Zusammengekrümmt sitzt er auf dem geschlossenen Toilettendeckel.
»Entschuldigung«, stößt er kraftlos aus, »stimmt etwas nicht mit mir.«
Und natürlich tut er ihr jetzt leid. Aber sie wollte das doch: ihn dingfest machen.
»Vielleicht war nicht gut, Espresso zu trinken«, murmelt er und sieht sie gequält an.
»Leg dich aufs Sofa«, schlägt sie vor, will ihm schon den Arm anbieten, hält sich aber doch zurück. Vielleicht hat sie zu viele Tropfen in das Glas gegeben. Sie kennt dieses Mittel noch nicht. Der Pharmareferent hat gesagt, es sei vollkommen harmlos. Aber die Reaktionen, die Bela zeigt, sind erstaunlich heftig. Mühsam erhebt er sich und schleppt sich an ihr vorbei, hinüber ins Wohnzimmer. »Hast du eigentlich inzwischen eine Krankenversicherung?«, ruft sie ihm hinterher. Er antwortet nicht. Sie folgt ihm. Bleibt an der Wohnzimmertür stehen und sieht zu, wie er sich langsam auf das Sofa setzt, wie er noch sorgsam die Schuhe abstreift und sich dann ausstreckt. »Also, alles noch so wie letzten Herbst«, stellt sie fest, »schwarz, oder?«
Immer noch hält er sich den Bauch. Sie sollte nicht weiter nachfragen, letzten Herbst hat sie das auch nicht getan. Es war in Ordnung gewesen für sie beide. Besser, sie fühlt ihm jetzt den Puls, tastet den Bauch und den Hals ab, die übliche Erstuntersuchung. Sie zögert. Was sie getan hat, ist strafbar. Was er getan hat, auch. Aber helfen muss sie.
»Vielleicht kann ich bekommen noch ein Glas Cola«, bittet er matt, »soll das helfen, Bauch zu beruhigen.« Auf gar keinen Fall, denkt sie erschrocken und sagt: »Tut mir leid, das war der Rest aus der Flasche.« Hoffentlich kollabiert er nicht.
»Geht gleich besser«, seine Stimme kippt leicht, »können wir gleich Kontoautomat …«
Er gibt nicht auf. Beinahe bewundert sie ihn für sein Durchhaltevermögen. Ein bisschen davon täte ihrem Sohn gut. »Ich koche dir einen Tee«, schlägt sie vor, lässt ihn, wo er ist, und geht in die Küche. Dort liegt, auf der Arbeitsfläche neben dem Kühlschrank, das Telefon. Sie muss es eben dort liegen gelassen haben, als sie die Cola eingegossen hat. Eigentlich wäre der Moment günstig. Sie nimmt es in die Hand, lauscht hinüber ins Wohnzimmer, hört, wie der Mann auf dem Sofa vor Schmerzen stöhnt. Das hat sie nicht vorgesehen, dass er Schmerzen haben würde. Obwohl sie es hätte wissen müssen. Sie hat einen Fehler gemacht. Er hat seine Strafe bekommen. Es steht ihr nicht zu, die zu verhängen, das haben andere zu tun. Es bleibt dabei: Sie hat einen Fehler gemacht. Sie muss rasch handeln jetzt.
Im Feld Adressbuch klickt sie die eingespeicherte Nummer der Polizei an. Die Leitung ist frei. Es klingelt einmal, zweimal. Eine Männerstimme meldet sich. Sofort legt Alma wieder auf. Sie kann das nicht. Sie ist doch kein Unmensch. Denkt sie, und: was, wenn er sagt, was er auf der Brücke gesehen hat? Jetzt nicht noch einen Fehler machen. Besser, sie überdenkt alles noch einmal. Es widerspricht nicht der Tatsache, dass sie erpresst wird. Es widerspricht auch nicht der Tatsache, dass sie den Mann selber ins Haus gelassen hat. Weil er Zeuge war, als ihr Sohn einen Autounfall verursacht hat und geflüchtet ist. Dass dieser Mann sie vergewaltigt hat, ist ebenfalls eine Tatsache. Schließlich hat sie nicht ausdrücklich zugestimmt. Sie hat sich ausgezogen, aber doch genau genommen unter Zwang. Um einem Gewaltakt zuvorzukommen. Genauso war es. Fast glaubt sie es schon. Der Mann hat sich nachts in ihrem Garten herumgetrieben, sie hat ihn ins Haus gelassen, weil sie ihn von früher kannte, und er ist über sie hergefallen, nachdem sie auf seine Geldforderung nicht eingegangen ist. So könnte es gewesen sein. »So war es«, sagt sie, zwingt ihrer Stimme Festigkeit ab und drückt die Wiederholungstaste. Die Tatsache, dass er hier schwarz arbeitet, wird dann auch herauskommen. Aber das dürfte noch sein geringstes Problem sein. Ist sie das? Diese gemeine Frau? Du Unmensch, hört sie Jasper sagen. Die Männerstimme von eben meldet sich, schneller, als Alma lieb ist. Doch wieder auflegen geht nicht mehr. Mit fester Stimme sagt Alma Lund: »Bitte kommen Sie sofort, ich wurde überfallen.« Und nennt Name, Adresse, Telefonnummer. Nennt die Umstände. Als alles gesagt ist, legt sie auf und stützt sich schwer atmend auf die Arbeitsfläche. Ist sie das gerade gewesen? Nebenan stöhnt der Mann, den sie
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