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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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ausgeliefert hat, auf. Sie fühlt sich schlecht. Dreht den Wasserhahn auf, lässt kaltes Wasser über die Hände laufen. Holt eine noch nicht angebrochene Flasche Whisky aus dem Schrank. Schraubt sie auf. Gießt sich ein, trinkt in großen Schlucken. Im Regal die Kuchenform. Marmorkuchen ist Jaspers Lieblingskuchen. Vor vielen Jahren hat sie zum letzten Mal einen für ihn gebacken. Irgendwas muss sie jetzt tun. Sie nimmt die Kuchenform aus dem Regal. Fast wäre sie ihr aus der Hand gefallen. Sie gießt Whisky nach, trinkt, sieht zu, wie sie die Küchenwaage nimmt, Mehl und Zucker abwiegt. Sieht sich Eier und Butter aus dem Kühlschrank holen, alles zusammenrühren, den Ofen anstellen. Alles tun ihre Hände von selbst, sie kann sich auf sie verlassen, sie fetten die Backform aus, ziehen Kakaomasse durch den Teig in der Form. Sie sieht sich eine Tasse nehmen, einen Tee aufbrühen und hinübertragen, hört sich sagen: »Das wird dir guttun«, sieht ihre Hand über der Stirn des Mannes schweben, auf der kleine Schweißperlen stehen.
    Was hat sie getan? War sie das?
Claudia wird auf die Station gebracht
    Auf dem Bett liegend durch die Gänge gerollt. Sie friert, doch das ist nicht das Schlimmste. Die Gesichter, die vorbeifliegen wie Masken in einem Illusionstheater. Die Augen, die sie von oben herab anstarren. Das Rattern der Räder in ihrem Rücken. Alles ist weiß, die Decken und Wände, die Kittel der Schwestern, das Laken auf ihrem Körper. Ob das nun so bleiben wird, dass alles immer weiß ist in ihrer Nähe? In den Fahrstuhl hinein und, ehe der Druck im Kopf sich wahrnehmen lässt, wieder hinaus, durch einen anderen Gang, unter anderen Augen hindurch, bis endlich eine Tür geöffnet wird.
    »Guten Morgen, die Damen, Sie bekommen Zuwachs.«
    Wie weiß es aus dem Zimmer heraus und auf sie herab leuchtet. Wie fröhlich die Stimme der Schwester klingt. Das Bett, in dem Claudia liegt, wird an den leeren Platz vorn bei der Tür geschoben und dort festgestellt. Ihr ist das nur recht so. Sie hat bei dem Wort »Station« nicht daran gedacht, dass es bedeuten würde, Zimmergenossinnen zu haben. Langsam dreht sie den Kopf und blickt in zwei ihr zugewandte Gesichter, eines alt, eines etwas jünger. Sie sind sich damals einig gewesen, Urs und sie, dass eine Zusatzversicherung für ein Einzelzimmer im Krankenhaus eine überflüssige Geldausgabe wäre. Wie oft ist man schon im Krankenhaus, haben sie gerechnet und das Angebot verworfen. Wenn sie jetzt nur nicht gleich reden muss. Nur nicht sagen muss, was los ist mit ihr.
    Die Schwester schließt den Rufknopf an und erklärt ihr die internen Telefonnummern. »Kann ich auch ’raustelefonieren?«, fragt Claudia. Ihre Stimme gehorcht ihr noch immer nicht ganz.
    »Selbstverständlich«, sagt die Schwester, »aber jetzt ruhen Sie sich erst mal aus.« Sie sieht noch kurz nach den beiden anderen Patientinnen, dann geht sie mit schnellem Schritt aus dem Zimmer.
    Muss sie sich jetzt vorstellen? Seit der Geburt der Kleinen hat sie nicht mehr in einem Krankenhaus gelegen, und damals gab es die Babys, um die sich alles drehte. Doch die beiden anderen haben sich schon wieder abgewandt. Die eine vertieft sich in ein Buch, die andere macht die Augen zu. Vielleicht haben sie schlechte Diagnosen bekommen, sind womöglich viel schlimmer dran als Claudia. Aber eigentlich möchte sie das gar nicht wissen.
    Sie versucht zu schlafen. Hinter ihren geschlossenen Lidern zuckt es. Das weiße lachende Gesicht fliegt vorbei. Grinst sie an. Zerspringt in abertausend Splitter. Sie öffnet die Augen wieder. Versucht, sich zu erinnern. Es muss einen Grund dafür geben, dass sie hier liegt, reglos. Sehe ich dich wieder, hat Anselm gefragt, und sie hat nicht ja. nicht nein gesagt und ist in ihr Auto gestiegen, um heimzufahren. Auf der Autobahn. Und dann, wie ging es weiter, versuch dich zu erinnern. Hast dich verwirren lassen, so viel weißt du noch. Einen Augenblick lang alles infrage gestellt, die Übersetzertätigkeit, das gemietete Reihenhaus und die schweigsamen Abende mit Urs. Und wenn sie damals, so hat sie gedacht, nach der Generalprobe das Messer nicht genommen hätte, wenn sie Anselms Hand damals einfach festgehalten hätte, was wäre dann … Wieder das weiße Grinsen. Wieder die Splitter. Mach weiter, erinnere dich. Hast du auf dieser Fahrt irgendeinen Beschluss gefasst? Wer hat dir das weiße Grinsen geschickt?
    »Ich bin’s«, hört sie eine brüchige Stimme sagen, »die lassen mich noch nicht weg.

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