Alle Familien sind verkorkst
Schienbeinen. Große. Viele. An den Waden auch.«
Janet blieb stehen und drehte sich um. »Seit wann?«
»Seit zwei Monaten. Seine Beine sehen aus wie Gorbatschows Kopf.«
»Aha.«
»Das ist der Anfang vom Ende.«
»Nein, ist es nicht. Es gibt inzwischen Medikamente gegen das Kaposi-Sarkom.«
»Janet -« Beth war plötzlich wieder klar, »- die wirken nicht.«
Janet setzte sich auf einen Stuhl neben der Badezimmertür. »Tut mir Leid, dass ich dich so angeschnauzt habe.« »Ich hatte es verdient, angeschnauzt zu werden.« »Spricht er über seine Krankheit?« »Wade? Was glaubst du?« »Ich nehme an nein.«
Beth klagte über Erschöpfung und schlief während der Lokalnachrichten innerhalb weniger Minuten vor dem Fernseher ein. Janet verhüllte die beiden Zimmerservice-Wagen mit den dazugehörigen weißen Tüchern, rollte sie in den Flur und machte dann ihre Couch zum Schlafen fertig. Beth schnarchte wie ein Müllzerkleinerer, und trotz des turbulenten Tages fand Janet keinen Schlaf. Um vier Uhr morgens bemerkte sie das blinkende rote Nachrichtenlämpchen am Telefon. Wie Wade in der Nacht zuvor hörte sie die Aufnahme ab.
Wade? Bist du da? Was ist los? Ich habe grade wieder Kaffeepause. Alanna sagt, du, Dad und Bryan seid aufgekreuzt und habt euch Howies VW-Bus genommen - wie ungezogen. Und dann haben ein paar Stunden später zwei Typen an der Tür geklingelt und Howie mitgenommen, aber die Leute von der NASA sagen, sie hätten keine Ahnung, wer ihn abgeholt haben könnte, also ... Außerdem hab ich heute nichts von Mom gehört, dabei ruft sie sonst immer an - vielleicht stimmt auch da irgendwas nicht. Immer diese Dramen bei den Drummonds. Die Familie Brunswick hat vermutlich bis zum Sonnenaufgang Scrabble gespielt, wobei sie sich bestimmt irgendeine Extrawurst ausgedacht haben, um das Spiel anspruchsvoller zu machen, wie zum Beispiel die Hälfte der Vokale auszusortieren.
Nun, großer Bruder, du willst wahrscheinlich wissen, wie ich meinen Tag verbracht habe. Danke der Nachfrage. Zu den Highlights gehörte das Testen von Agar-Emulsionen, die dazu benutzt werden, Hautzellen fürs Klonen in der Schwerelosigkeit zu binden, ein Probetraining nach den neuen Vorschriften für den Druckausgleich und eine Modifizierung der anschnallbaren Pinkelvorrichtung, was etwas peinlich war.
Wade! Ruf mich an! Ich sitze hier - du wirst es nicht glauben, aber ich habe tatsächlich gerade Kaffeepause, und ich trinke Kaffee!
Bis dann.
Sarah hatte eine Nummer hinterlassen, und Janet rief sie sofort zurück. »Sarah?«
»Mom - du bist so spät noch auf?«
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Hey - was ist bei euch da drüben so los?«
Wo soll ich anfangen? »Hast du ein paar Minuten Zeit? Setz dich, Schätzchen.«
Janet informierte Sarah über die Kette von Ereignissen, die sich an dem Tag abgespielt hatten - Nickie, der Überfall (dessen drastische Einzelheiten sie auf ein Minimum beschränkte), Shw und ihre blutgetränkten Fünfziger, die Babykäufer in Daytona Beach, die Männer im Krankenhaus, die Fahrt zu Kevins Wohnwagen, Beths Besäufnis und ihre religiösen Aufs und Abs. »Das wär's.«
»Ich glaube, ich brauche einen Moment, um das zu verdauen.«
»Lass dir Zeit, Liebes.« Janet machte es sich auf dem Stuhl ein bisschen bequemer und trank einen Schluck Wasser.
»Du hörst dich heute Abend etwas besser an«, sagte Sarah.
»Der Soor und die Aphthen sind wieder abgeklungen.«
»Das ist eine gute Nachricht, Mom. Ich bin froh, das zu hören.«
»Sarah -?«
»Ja, Mom?«
»Weißt du, meine Aphthen -« »Mh-hm?«
»Die sind nicht einfach von selbst weggegangen.« »Nein? Nimmst du ein neues Medikament?« »Ja, allerdings.« »Ach. Was denn?«
Janet hörte es bei Sarah irgendwo im Hintergrund klingeln. Ich schulde meiner Tochter Aufrichtigkeit. »Ich nehme Contergan, Sarah.«
Keine Reaktion.
»Sarah?«
»Ich hab schon verstanden.«
»Sarah, es war nichts mehr übrig, was ich nehmen konnte. Und ich muss das gesamte Internet durchforsten, um mir das Zeug aus Ländern wie Brasilien und Paraguay zu besorgen.«
»Schon gut, Mom.«
»Und ...«
»Mom, hör auf, ja?«
»Ich habe in den letzten Wochen solche Angst gehabt ...«
Sarah wechselte das Thema: »Haben Wade und Howie sich gestern gestritten? Oder vielleicht heute?«
Janet musste kurz nachdenken. »Keine Ahnung. Gestern hat Howie Wade vom Gefängnis abgeholt, aber das ist alles, was ich weiß.«
»Alanna klang so komisch, als ich vorhin mit ihr
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