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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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war, eigentlich ganz gut geschlagen, während Janet, der unendlich viel mehr Optionen und Freiheiten zur Verfügung standen, auf ganzer Linie versagt hatte. Versagt? Nach welchem Maßstab? Wenn ich mich geschickter angestellt hätte, wäre ich heute ... tja, was Richterin? Die Schulterpolster tragende Chefin irgendeines Elektronikkonzerns? Besitzerin einer Muffin-Bäckerei? Das soll Erfolg sein? Erfolg ist Versagen, Versagen ist Erfolg. Wir haben so viele verschiedene Signale zugleich erhalten, dass am Ende nichts aus uns geworden ist. Meine Tochter hingegen - sie hat es geschafft. Schnitt...
    »Vielleicht sollten wir Dad zur Toilette gehen lassen«, sagte Bryan.
    »Nein«, erwiderte Wade.
    Janet sagte: »Es war sehr ungezogen von euch beiden, ihn so zu fesseln.«
    »Er hat es verdient, gefesselt zu werden.«
    »Ich hab nicht gesagt, dass er es nicht verdient hat.«
    »Aha. Na dann.«
    Sie fuhren mit ihren Schönschreibübungen fort. Bryan war zu Janets Überraschung der Beste von den Dreien. »Du bist sehr gut, Bryan.«
    »Danke. Durch das Gitarrespielen bin ich fingerfertiger geworden.«
    »Das sehe ich.«
    »Woran denkst du?«, fragte Wade seine Mutter. »Du machst ein Gesicht, als hättest du ein Geheimnis.«
    »An nichts Besonderes. Nun ja, ehrlich gesagt an meine Mutter. Du hast sie nie richtig kennen gelernt.«
    »Ein bisschen schon«, sagte Wade. »Grandma Kaye. Sie hat nie ein Wort gesagt, und sie roch nach Hautcreme.«
    »Nein, sie hat nicht viel gesagt«, sagte Janet. »Nicht wahr?«
    Wade fuhr fort: »Woran genau hast du gedacht?«
    »Dass ihr Leben nicht besonders dramatisch war - woran nichts auszusetzen ist - schau dir meins an. Dabei hoffe ich nach wie vor, dass ich, wenn ich mir mein Leben lange genug ansehe, irgendeine globale Logik darin finden werde - ein Schema. Andererseits glaube ich nicht, dass dieses Schema wirklich existiert.«
    »Macht dir das Angst?«, fragte Wade.
    »Nein. Und ich glaube auch nicht, dass die Zukunft einen Sinn hat.«
    »Mom«, sagte Bryan, »du hörst dich an wie die Sex Pistols.«
    »Diese grässlichen Punkrocker.« Janet schürzte die Lippen.
    »Mom«, sagte Wade, »was ich an dir nicht begreife, ist, wie es sein kann, dass du bei all deiner Tugendhaftigkeit und deiner Art, dich wie eine Fernsehmutter aufzuführen, an nichts glaubst. Ich verstehe das nicht.«
    »Wie kommst du darauf, dass diese Fernsehmütter an etwas glaubten, Wade?«
    »Ahm -«
    »Das taten sie nicht. Nicht wirklich. Wir waren keine Roboter, aber wir waren auch keine kompletten Menschen.« Kleine Vögel flatterten um Janets Füße herum. »Wie auch immer, das ist schon so lange her. Dass ich im Jahr 2001 noch lebe, kommt mir wie Betrug vor. Ich sollte eigentlich gar nicht mehr dazugehören.« Sie legte den Stift nieder und betrachtete die Fälschungsversuche ihres Sohnes. »Bryan, du wirst unser offizieller Kalligraph.« Sie reichte ihm einen Stapel Umschläge. »Beschrifte die hier, bitte.«
    Bryan, glücklich, dass ihm eine Aufgabe übertragen wurde, schrieb mit wissenschaftlicher Gelassenheit vor sich hin. Janet wandte sich Wade zu. »Beth sagt, du hast Hautveränderungen an den Schienbeinen. Darf ich die mal sehen?«
    »Warum nicht?« Wade krempelte seine Hose hoch, und seine Mutter betrachtete die violetten Flecken, geformt wie die miteinander verquirlten Staaten und Counties der USA.
    »Tut das weh?«, fragte Janet.
    »Nein. Überhaupt nicht. Aber es ist schlimm, sie anzuschauen. Ich fühle mich wie ein Apfel, der einen Monat zu lange im Korb gelegen hat. Ich verfaule von innen her.«
    »Darf ich mal anfassen?«
    »Bitte sehr.«
    »Zeig her.« Janet bückte sich und berührte die Schienbeine ihres Sohnes, und sie dachte an den Konfirmandenunterricht und an Jesus, der seinen Jüngern die Füße wusch, und wurde erneut wütend darüber, wie ihre Vergangenheit sich ständig in die Gegenwart drängte. »Kann man dagegen was tun?«
    »Ja. Nein. Sie gehen nicht wieder weg, falls du das meinst.«
    »Tut mir Leid, Wade.«

18
    Wades und Beths Reise nach Mailand war eine bedrückende, von Geldknappheit überschattete Erfahrung - auf dem Charterflug saßen sie in winzige Sitze gequetscht, was dazu führte, dass Wade den Großteil des Fluges über schlecht war. Er halluzinierte schon fast, als sie in der winzigen pensione in Mailand ankamen - einer Stadt in den Farben von Vollkornkeksen und Ruß, die eher Toronto ähnelte als Wades Vorstellung von rustikalen Fischerdörfern, in denen jedermann Chianti

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