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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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trank und winzige Autoscooter-Vehikel fuhr. Die Taxifahrt zur Fortpflanzungsklinik hatte etwas Science-Fiction-haftes. Sie führte durch die Industrieviertel am Mailänder Stadtrand, die bar jeder Farbe und jedes pflanzlichen Lebens waren und ihm das Gefühl gaben, er befände sich im Jahr 2525. Als sie angekommen waren, wurde Wade aufgefordert, mit dem Taxi zurück in die Stadt zu fahren, man werde »Beth schon verarzten« - eine beunruhigende Wortwahl - und sie müsse den ganzen Tag dableiben. Er könne so gegen fünf wiederkommen.
    Wade lief den ganzen Tag durch die Straßen und bekam entsetzliches Heimweh. Und wenn er gerade kein Heimweh hatte, machte er sich Sorgen ums Geld und um den Erfolg des Eingriffs. Er verstrickte sich in einem Gewirr aus unzusammenhängenden Gedanken. Kann Europa noch trostloser aussehen? Wo ist diese ganze Geschichtsträchtigkeit, von der ich so viel gehört habe? Stattdessen begegneten Wade andauernd nur Dinge die ... alt wirkten. Die Geschäfte waren nicht einfach geschlossen, sondern mit graffitibeschmierten Metallläden verbarrikadiert. Graffiti? Das ist dermaßen 1992. Die Straßen wirkten grauenhaft trist. Läden schienen aufgrund unerklärlicher Launen der Kultur zu öffnen und kurz danach wieder zu schließen. Wie lange kann es dauern, eine Samenzelle in ein Ei zu pfropfen? Und könnte dieses Land teurer sein, wenn es sich darum bemühen würde?
    Um fünf holte er Beth ab, die völlig erledigt war, und die beiden gingen ins Bett. Beth begann mit Wades Augenlidern zu spielen. »He, Wade - woran denkst du?«
    »An eine kleine Babywachtel, die auf meinen Lidern tanzt.«
    »Wünschst du dir einen Jungen oder ein Mädchen?«
    »Ein Mädchen. Jungs sind Wichser - nein, warte - vielleicht doch einen Jungen, damit ich all die schrecklichen Gemeinheiten wieder gutmachen kann, die mein Dad mir angetan hat.«
    »Zum Beispiel?«
    Wade dachte nach. »Nichts Spezielles. Ich meine, er hat mich andauernd geschlagen, aber das ist gar nicht mal das, was mir heute noch im Magen liegt.«
    »Nichts davon ist noch von Bedeutung, Wade. Deine Eltern sind dem Untergang geweiht. Sie können nichts mehr für dich tun. Sie träumen und fühlen nicht mehr. Der einzig maßgebliche Gesichtspunkt für jede Entscheidung ist die Ewigkeit.«
    »Nein, Beth, warte -« Wade öffnete die Augen und setzte sich auf. Er suchte Beths Blick. »Das haben wir doch schon mal durchdiskutiert. Wenn ein Elternteil dich deine ersten fünfzehn Jahre lang ignoriert - nicht mal Hallo sagt, geschweige denn dich in den Arm nimmt oder dir beibringt, dich zu rasieren, oder mit dir zu einem Ballspiel geht - und nur Schläge für dich übrig hat - das ist grausam - es ist, als würde man ein Kind in Einzelhaft stecken.«
    »Ich hätte lieber deine Form der Grausamkeit erlebt.«
    Wade ließ sich auf die Matratze plumpsen. »Wünsch dir niemals, grausam behandelt zu werden. Nicht mal theoretisch.« Er drehte sich zur Seite und streichelte Beths Wangen. Sie hatte als Teenager schlimme Akne gehabt, und die Narben machten Wade traurig. »Niemals.«
    Beth sagte nichts.
    »Unser Baby wird nie Angst haben«, sagte Wade. »Unser Baby wird nie angeschrien werden. Unser Baby wird für immer und ewig geliebt werden. Wir trinken nicht. Wir nehmen keine Drogen. Wir halten keine Predigten. Wir -«
    »Hör auf.«
    »Hä? Wieso?«
    »Wir werden es vermasseln. Du und ich, wir sind keine normalen Menschen mehr, Wade. Wir sind zwar nicht dem Tode geweiht, aber wir -«
    »Wir sind was?«
    Beth setzte sich auf, zündete sich mit einem rosafarbenen Bic-Feuerzeug eine italienische Zigarette an, nahm einen Zug und stieß den Rauch aus. »Als ich klein war, hatten wir hinter dem Haus einen Garten. Das hatten dort alle, ich meine, wir wohnten in South Carolina. Meine Eltern - vor allem meine Mom - waren als Gärtner völlig unfähig, aber das Gemüse kam jedes Jahr recht gut durch: langweiliges Zeug wie Kartoffeln und Kohl - ein bisschen Salat, ein paar Tabakpflanzen und Kürbisse, die mein Dad jedes Jahr anzubauen versuchte. Keine Blumen.« Sie zog wieder an ihrer Zigarette. »Doch dann kam irgendwann der Suff, und da fingen sie so richtig an, sich gehen zu lassen und sich gegenseitig die Hölle heißzumachen. Irgendwie haben sie die Gartenarbeit schleifen lassen. Sie ignorierten sie einfach. Ich war erst ungefähr zwölf, und ich fand, Gärtnern sei nichts für Zwölfjährige. Ich stand auf Rauchen und ältere Jungs mit Autos. Aber ich habe den Garten immer im

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