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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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vorbeiziehenden Marschwiesen, Schilder, die den Bau von Eigentumswohnungen ankündigten, und plattgefahrene Tiere.
    »Nun, Mom, was denkst du?«
    Janet dachte an den Brief - die perfekte Kristallisation all dessen, was zwischen Mutter und Kind unausgesprochen geblieben war. Und dann sah sie oben am Himmel einen Wall kartoffelbreiähnlicher Columbia-Pictures-Wolken. Sie hatte eine Idee - oder den Keim einer Idee. »Ich denke, wir sollten beim nächsten Einkaufszentrum halten.«
    »Warum?«
    »Wir müssen Umschläge kaufen und den Brief vervielfältigen.«
    »Wovon redest du?«
    »Wade, schau mir in die Augen. Sieh mich an und sag mir, dass du einen so kostbaren Brief irgendeinem Ungeheuer aushändigen würdest, das tatsächlich Geld für so etwas ausgibt.« Janet wartete einen Moment. »Siehst du? Das kannst du nicht. Wenn du es könntest, wärst du nicht mein Sohn.«
    Wade ließ ihre Worte sacken. Janet fand, dass er den Vorschlag recht gut aufnahm. Er sagte: »Okay. Klar. Aber warum sollten wir ihn dann kopieren?«
    »Sollen wir uns so eine gute Gelegenheit zum Geldverdienen durch die Lappen gehen lassen? Ich bin vielleicht deine Mutter, aber ich bin nicht verrückt.«
    Bryan sagte: »Gut. Dann brauchen wir uns nicht die Mühe zu machen, das Original in Shws Kofferraum zu suchen.«
    »Nur über meine Leiche. Dieser Brief wird gerettet.«
    »Aber das königliche Briefpapier -«, sagte Bryan.
    »Unsinn. Das ist von Hallmark oder einer ähnlichen Firma. Norm wollte nur nicht, dass ihr die Karte selbst behaltet. Habt ihr sie gemessen?«
    »Ich«, sagte Wade. »Achtzehn mal zwölf.«
    »Hast du dafür ein Lineal benutzt?« Janet kam sich vor wie ein Mafiaboss.
    »Meine Finger. Von der Spitze meines Zeigefingers bis zur Spitze meines Daumens sind es genau zwölf Zentimeter. Von meinem kleinen Finger bis zu meinem Daumen sind es achtzehn.«
    »Fahr bei dem Einkaufszentrum da rein.«
    Das nächste Shoppingcenter an der Straße war etwas touristischer. Sie parkten und ließen Ted auf dem Boden liegen wie eine volle Einkaufstüte. Der Grußkartenladen machte gerade auf, als sie ankamen. »Siehst du?«, sagte Janet. »Ein gutes Zeichen - das Universum will, dass wir den Brief kopieren.«
    Sie gingen durch den Laden und hatten schließlich mehrere Schachteln Umschläge für Hochzeitseinladungen zusammen, die fast genauso aussahen wie der des Originals, Dutzende dazu passender Karten und diverse Stifte und Kladdeblöcke.
    »Was jetzt?«, fragte Bryan.
    »Da rein.« Sie gingen in einen Discount-Buchladen und fanden schon bald Bücher über Prinzessin Diana, eins davon mit einem Foto des Umschlags auf dem Sarg. Sie kauften es und gingen in einen Starbucks-Klon, holten sich Kaffee und ließen sich mit einer Auswahl von Schreibstiften an einem Tisch nieder.
    »Okay, Jungs«, sagte sie. »Jetzt lasst uns Schönschreiben üben. Als Erstes müssen wir den Umschlag richtig hinkriegen. Um die Karte, die da hineinkommt, können wir uns nachher kümmern.«
    Sie begannen, wieder und wieder das Wort »Mummy« zu schreiben, wobei sie versuchten, dem Original so nahe wie möglich zu kommen. Bryan sagte: »Wade, müsstest du nicht Beth anrufen? Ich meine, du hast sie praktisch im Hotel sitzen lassen.«
    Wades Gesicht wurde rot, und er sah Janet an. »Der Akku von Dads Handy ist leer. Im Moment möchte ich nur diese Umschläge beschriften.«
    Mummy
    Mummy
    Mummy
    Mummy
     
    Janet dachte an ihre Mutter, die in den 70er Jahren während eines Urlaubs am Lake Huron an einem Schlaganfall gestorben war. Ihr Tod an sich machte Janet nicht traurig. Was sie traurig machte, war, dass sie nie wirklich gewusst hatte, was ihre Mutter für ein Mensch war. Janet hatte Angst, dass es vielleicht gar nicht möglich war, ihre Mutter und darüber hinaus auch alle anderen Menschen richtig kennen zu lernen. Das Leben ihrer Mutter war zu einem sehr großen Teil von ihrem Mann vereinnahmt worden. Einmal, als Janet bereits mit Ted verheiratet war und drei Kinder mit ihm hatte, fragte sie ihre Mutter, ob sie ihren Mädchennamen vermisse.
    »Meinen Mädchennamen vermissen? Gute Güte, nein. Den habe ich in dem Moment weggeworfen, als ich ›Ja ‹ gesagt habe.«
    Weggeworfen? So viel Selbstverleugnung war Janet unbegreiflich. Sie musste an Bilder von Nonnen aus Quebec denken, die sich aus einem fehlgeleiteten Aufopferungsideal heraus hatten einmauern lassen. Doch trotz alledem hatte Janets Mutter sich für ein menschliches Wesen, das im Jahr 1902 ohne Penis geboren worden

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