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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Hinterhof in Toronto Sandtörtchen gebacken. Sie waren wunderbar. Meine Mutter wäre gestorben, wenn sie gewusst hätte, dass wir sie gegessen haben.«
    »Sandtörtchen sind ziemlich gehaltvoll«, sagte Ernie. »Wollen wir uns nicht eins teilen?«
    Janet willigte ein, und sie bestellten eins. In der Zwischenzeit bekamen sie zwei Tassen koffeinfreien Kaffee serviert. Ernie holte tief Luft und fragte: »Also, Janet, Sie haben mir immer noch nicht erklärt, wieso Sie sich so gut im Internet auskennen.«
    »Früher hat mir das Ding Angst gemacht, aber wenn Sie meine Geschichte kennen, verstehen Sie, warum.«
    »Und was ist Ihre Geschichte?«
    »Sie werden anders über mich denken, wenn ich sie Ihnen erzählt habe.«
    »O nein, wie könnte ich?«
    Was soll ich denn jetzt tun - lügen? Natürlich nicht. »Also: Mein Ex-Mann, Ted, hat mich vor ungefähr vier Jahren wegen 'ner Jüngeren sitzen lassen. Idiotisch von mir, dass ich das nicht früher gemerkt habe, aber so was passiert mir heute nicht mehr. Also sitze ich ganz allein in diesem großen Haus am Stadtrand, die drei Kinder sind fort, und versuche mich in meiner neuen Situation zurecht zu finden. Ich frische ein paar alte Freundschaften auf und besuche Internet-Abendkurse. Da kommt eines Tages mein Ältester, Wade, überraschend aus Las Vegas, wo er seit ich weiß nicht wie langer Zeit lebt. Wade ist der Tunichtgut der Familie. Immer mit einem Fuß im Knast. Liebenswert. Mein Lieblingskind, aber das werde ich öffentlich nie zugeben. Also Wade kommt in die Stadt, lernt in einer Bar eine Mieze namens Nickie kennen, und sie landen zusammen im Bett. Danach geht er meinen Ex-Mann, Ted, besuchen, in diesem albernen neuen Haus, das er damals hatte, und wer kommt da zur Tür rein? Nickie - wie sich herausstellt, ist die Mieze Teds Frau. Es ist die reinste Farce, ich weiß. Wade macht sich also aus dem Staub. Er kommt also rüber zu mir, wo wir uns ein gemütliches kleines Abendessen gönnen, bis Ted auftaucht und Wade eine Kugel in den Bauch jagt. Sie tritt aus Wades Rücken wieder aus und bohrt sich in mein Brustbein.«
    Janet deutete auf ihre Wunde.
    »Großer Gott«, sagte Ernie.
    Janet hatte die Geschichte schon viele Male erzählt. Sie kannte die dramaturgischen Kniffe. »So weit, so gut. Ted ist ein Arschloch, und die Sache hatte keine juristischen Konsequenzen. Wade kehrt nach Las Vegas zurück. Ein Jahr später bekomme ich eine Lungenentzündung. Ich lasse mich durchchecken, und ... Sie haben's erraten« - der Moment der Wahrheit - »HIV. Von meinem Sohn. Also rufe ich Wade an und erzähle es ihm, und es stellt sich heraus, dass er seit einem Jahr krank ist, aber alle dachten, es sei seine Leber, die nach der Rekonstruktion ungefähr noch die Größe eines Pfefferminztäfelchens hat. Er wird getestet, und sieh an, es ist HIV. Ich weiß nicht, wo er sich angesteckt hat, und es spielt auch keine Rolle. Jetzt leben wir beide von Pillen.« Janet starrte in ihren kalt werdenden Kaffee hinunter. »Ich könnte noch mehr erzählen, aber das ist das Wesentliche. Meine Geschichte.«
    Das Sandtörtchen wurde mit zwei Gabeln serviert. Ernie schwieg. Janet nahm eine Gabel und aß einen Bissen. »Ernie, wollen Sie nichts von dem Törtchen essen?«
    Ernie musterte seine Hände.
    »Es ist ein gutes Sandtörtchen, Ernie.«
    Ernie bewegte seine Hände auf das Törtchen zu, hielt jedoch schnell wieder inne.
    Janet legte ihren Löffel hin. »Ich glaube, das ist jetzt der Moment, mich zu verabschieden, Ernie.«
    Ernies Kopf schien leicht zu vibrieren.
    »Schon gut, Ernie. Aber ich glaube, ich sollte gehen.«
    »Ich würde ja etwas von Ihrem Sandtörtchen essen, Janet, aber ich -«
    »Pssst!«
    »Aber -«
    »Pssst.« Sie sah ihm ins Gesicht. Sie verließ das Restaurant und stieg in ihr Auto.
    Unsere Vorbilder sind tot.
    Die Geschichte hat uns im Stich gelassen.
    Die Vergangenheit ist ein Witz.
    Sie fuhr gen Westen auf den Sonnenuntergang zu; in den Nachrichten hatte es geheißen, ein Waldbrand auf Vancouver Island würde dem Himmel spektakuläre Farben verleihen - zu Recht. Dort in ihrem Wagen spürte Janet, dass sie sich zum ersten Mal von den Menschen in ihrem Leben entfernte, von deren Bedürfnissen, ihren Partnern, ihren Makeln, ihren zahllosen unheilbaren Wunden, ihren nie ausgesprochenen unstillbaren Sehnsüchten, all ihren Verfehlungen.
    Sie passierte einen Camaro, der sich überschlagen hatte, umringt von Polizisten und einem Häufchen benommen wirkender Teenager, und fuhr

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