Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
Vom Netzwerk:
Jahrgang hat mit Leistung nichts zu tun.
     
    Und, mag sein, auch von uns fiel etwas ab.
     
    Lange habe ich gebraucht, bis ich begriffen habe, daß man sich mit Namen grüßt. Es ist unhöflich, den Vornamen nicht zu sagen. Ich höre: Chau Angelica, oder Allegra Duonna Angelica.
    Es gibt viel zu lernen an den kleinen Dingen.

12. Februar
    Im Nachbarhaus sind die Feriengäste mit den Windhunden und dem hohen Papageienkäfig wieder gekommen. Nachts sieht man von der Straße durch das tiefe Fenster des Engadiner Bauernhauses die zwei großen
tropischen Vögel im Licht der Stube. Morgens ziehen zwei nervöse Windhunde vor dem Brunnen an ihrer Leine.

13. Februar
    Morgenglanz, hätte Goethe gesagt. Ein blauer Dunst, ein Schleier, die Ostwand des Piz Pisoc schimmert schneeig hindurch. Wie eine Inszenierung. Solo für einen Berg.
    Die Landschaft spielt mit sich selbst. Da ein Streifen Lichteffekt, dort ein wildes Flimmern der gefrorenen Schneedecke. Und wir, mein Hund und ich, laufen durch die Szene, zwei Helden auf dem schmalen Weg am Hang im Schnee.
     
    Gestern gegen Abend sehe ich ein Blitzen, kürzer als eine Sekunde, gerade an der Grenze zur Wahrnehmung, ein helles, breites Blitzen, ungewöhnlich. Ich schaue nach, aber da ist es schon hinter den Dächern verschwunden. Beim Abendessen sagt Matthias: Weißt du, Mama, was ich heute gesehen habe? Etwas ganz Schönes. Eine Sternschnuppe, über dem Wald.
    Und jetzt erst habe auch ich eine Sternschnuppe gesehen.

16. Februar, Dienstag
    Kühe im Schnee. Sie stehen. Sie sind nicht in Bewegung wie Kühe auf einer Wiese. Es gibt nichts zu malmen. Also stehen sie. Im Schnee. Weil sie Biokühe sind. Sie müssen eine bestimmte Stundenzahl im Freien verbringen. Sie haben nichts zu tun. Morgens werfen sie einen Schatten wie Kühe. Abends werfen sie Schatten wie Zelte. Schwarze Zelte im Schnee. Eine Nomadensiedlung korrekter Kühe.

17. Februar
    Heute vor einem Jahr war Helens Unfall. Ich bringe ihr rote Tulpen, helle und dunkle. Sie ist so dünn in dem schwarzen Pullover und den Jeans. Ihr Auge ist frei. Sie sagt, sie wisse nicht, ob dieser Tag etwas zum Feiern oder zum Klagen sei. Zum Feiern, sage ich. Unbedingt. Sie lacht zweifelnd. Du bist zu ehrgeizig, sage ich. Nein, sagt sie, aber der Kopf wolle noch nicht richtig. Was sie sich alles aufschreiben müsse! Aber du kannst schon wieder arbeiten, sage ich. Ja, sagt sie, das geht schon, da staune sie selber.
    Sie nimmt die Blumen und stellt sie in eine Vase.
     
    Es schneit. Schnee wie Stille. Schnee wie Auslöschen. Keine Berge mehr. Schnee des Verschwindens. Schnee fällt wie Flimmern. Dahinter Helle. Milchig, warm.

     
    Dann hört der Schnee auf. Es wird klar und die leichten Wolken schwimmen im hellen Blau wie ein Aquarell. Die Leichtigkeit der Landschaft. Das Wort »Zeitraum«.
     
    Meine Angehörigen sind auf romanisch: ils meis (da chasa), die Meinen (von zu Haus).

22. Februar
    Chur, Café Maron. Manfred und ich sind auf dem Weg zu einem Hölderlinworkshop an der Kunstschule Liechtenstein. Am Bahnhof wollen wir Andreas treffen. Wir bringen ihm seine Skier und die Skisachen aus Sent für einen Skikurs in Arosa. Wir kommen zufällig zur selben Zeit wie die Busse aus Köln an. Es sind 130 Studierende. Sie laufen mit ihrem Gepäck in die Bahnhofshalle. Wir suchen unseren Sohn. Manfred trägt seine Skier und die Tasche mit den Kleidern, ich trage in jeder Hand ein paar Skistiefel, weil wir nicht mehr wußten, welche seine sind und welche die von unserem Stuttgarter Freund Maik. (Am Telephon ließ sich das nicht klären, weder Maik noch Andreas erinnerten sich an die Marke, beide Paare Skistiefel sind schwarz und riesengroß, einmal Head, einmal Salomon. Unser Senter Keller ist mittlerweile ein Basislager für die Ski- und Wanderausrüstungen unserer Freunde.) Wir suchen unter den vielen Jugendlichen. Dann sehen wir, wie er aus der Menge auf uns zukommt. Seltsame Gefühle: Freude,
Stolz. Er trägt einen roten Anorak, schwarze Hosen. Er ist groß. Er ist einer von den Sportstudenten.
    Zuhause in Sent hütet Silvia den Kleinen. Bevor wir gefahren sind, hat sie mir die Augenbrauen gezupft, damit ich schön sei für den Kurs. Silvia und Matthias sind froh, ein paar Tage ohne uns zu sein. Silvia bleibt bis zum 6. März, dann kommt sie mit nach Luzern zu meiner Lesung. Von dort fährt sie zu ihrem Freund nach Berlin. Zu Manfreds Antrittsvorlesung in Basel Mitte März kommt sie wieder. Auch Andreas wird von Köln kommen, er besucht

Weitere Kostenlose Bücher