Alle Farben des Schnees
Klaus Siblewski, träumen davon, an ihren Ferienort zu ziehen. Aber ihr habt es wirklich gemacht. Wie ist das also? Wir saßen zusammen
im Münchner Stadtcafé. Ich dachte an eine Art Senter Tagebuch. Doch ich würde im Sommer in Amerika sein und auch sonst viel reisen. Das Wegsein gehört vermutlich dazu, sagte der Lektor, das Zurückkommen auch. Und mir fiel der Satz aus Handkes »Gewicht der Welt« ein: »Ich übte mich nun darin, auf alles, was mir zustieß, sofort mit Sprache zu reagieren.«
In Notaten begann ich, Augenblicke des Alltags festzuhalten. Im Lauf der Aufzeichnungen aber änderte sich mein Verhältnis zu dem Ort, an dem wir lebten. Ich begann zu recherchieren; ich wollte mehr wissen über die Geschichte dieses romanischen Dorfs der Bauern und Zuckerbäcker, der Handwerker und Feriengäste. Zunehmend erwies sich Sent, das Dorf der Auswanderer und Zurückgekommenen, als ein Kristallisationspunkt für Fragen nach Heimat und Fremde, Identität und Entwurzelung. Und in den Sehnsüchten der Feriengäste brachen sich im Bergdorf die Lebensentwürfe einer globalisierten Welt.
Ein drittes Thema kam hinzu. Unser Sohn Matthias lernte sehr schnell Vallader, das rätoromanische Idiom des Unterengadins. Auch mein Mann konnte sich bald in einfachen Sätzen unterhalten. Ich hatte weiterhin große Schwierigkeiten, Romanisch zu sprechen, was vermutlich nicht nur mit Wortschatz und Grammatik zusammenhing. Um eine Identität in der fremden Sprache zu finden, habe ich während der Aufzeichnungen begonnen, einfache Gedichte auf vallader zu schreiben: »Poesias dals prüms pleds«, Gedichte aus den ersten
Wörtern. Ich übte mich darin, auf Sprache mit Sprache zu reagieren. So schloß sich der Kreis.
Ich möchte mich bei allen Menschen entschuldigen, die, auch wenn sie mit mir leben und mir wichtig sind, in diesem Buch nicht vorkommen. Mehr aber noch möchte ich die um Verzeihung bitten, die vorkommen: ich habe mir ein Bildnis von ihnen gemacht und sie damit in erzählte Figuren verwandelt.
E finalmaing: Ün cordial grazcha fich a meis cumün da Sent per la buna accoglientscha.
Sent, im September 2010
© 2010 Luchterhand Literaturverlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Greiner & Reichel, Köln
eISBN 978-3-641-05118-1
www.luchterhand-literaturverlag.de
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