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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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(28.6.):
    Die Post hier hat mittags von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Und heute Morgen war ich auch dort, da hatte sie um 12 geschlossen. Am Samstag schloß sie um 10 Uhr morgens. Fällt Euch so was eigentlich noch auf? (Wir sind froh, daß wir überhaupt eine Post haben, bei der man übrigens auch Zugfahrkarten für Strecken in der Schweiz bekommt. Und wenn man sich die Öffnungszeiten merkt, ist es doch kein Problem!)
     
    Meine Nase ist trocken, meine Haut auch.
    (Inneralpine Trockenzone …)
     
    Hier wird gerade Heu zusammengerecht (wie heißt das professionell?). Daß man solche Arbeiten, die - sieht man sich die Größe dieser Heugabeln an - sehr anstrengend sein müssen, noch durch menschliche Arbeitskraft verrichtet, kommt mir anachronistisch vor. (Sind die Wiesen anachronistisch? Die Wiesen sind steil. Gemäht wurden sie vermutlich mit Maschinen. Bauern aus dem Unterland staunen, wie die Senter Bauern an den Steilhängen das Gras mähen.)

    Ich hab eine Frau im Bikini heuen sehen. - Die Bauarbeiter hier sind halb nackt, jünger und sehen besser aus als Bauarbeiter in Deutschland.
     
    Wie grüßt man hier? Ich werde meist mit »Ciao« angesprochen, auch von Leuten, die ich nicht kenne, aber Matthias Overath meinte einmal, das gelte nur für Kinder. Ist »Allegra« zu förmlich? »Grüzi« finde ich für mich so albern, dass es mir schwer fällt, es als Gruß zu benutzen. (Dank, liebes Kind, daß du in Sent nicht Grüezi sagst! Auch in Zürich solltest du das nicht tun. Deutsche bekommen das nicht hin. Und sonst ist es wie mit den Öffnungszeiten der Post; wenn man sie kennt, ist es ganz leicht: morgens bis 11 Uhr Bun di; dann Allegra. Gegen Abend Buna saira. Ciao, romanisch übrigens: Chau, geht immer, aber nur zu Kindern und Jugendlichen oder wenn man sich vertraut ist und duzt.)
     
    Ginger wälzt sich auf den frisch gemähten Wiesen und kratzt ihren Rücken. (Der Hund fehlt mir. Er ist alt. Wenn er tot ist, wird mich nie mehr jemand so ansehen, wie er mich ansieht.)
     
    Der Schnee ist noch da. Ich habe aber das Gefühl, daß er sich zurückzieht. Die Berge haben längliche, auslaufende Schnee-Flecken wie Giraffen, von denen man ein Negativphoto gemacht hat.

     
    Das Hotel im Val Sinestra ist eine totale Holland-Enklave. Sie bieten Ferien für 10 Tage oder mehr an: Dann wird ein Bus nach Holland geschickt, der sammelt die Leute ein, fährt sie nach Sent und bringt sie nach dem Urlaub wieder zurück. (Klar, und ich weiß auch, wer den Bus fährt: der gute Jürg mit dem Zigarillo im Mund, der Mann von Mina, der Schwager von Mengia.)
     
    Die Nelken leben noch, die Waschküche stinkt nach Urin.
    (Dem Siebenschläfer geht es also gut!)

Dienstag, 29. Juni
    Frühstück, am Nebentisch wird chinesisch gesprochen, an anderen russisch. Der Sprachpegel steigt. Es ist auch ein Spiel mit dem Verstehen und Nicht-Verstehen. Das Verstehen wagen, das Nichtverstehen aushalten. (Mein Umweg über die romanischen Gedichte. Das Nichtverstehen im Griff haben, es gestalten wollen.) Das Salz auf dem Nebentisch der »Chinesen« (die ja Chinesisch lernende Amerikaner sind): Jetzt nicht auf englisch um das Salz bitten, sondern auf deutsch! Und wenn ein amerikanischer Russischstudent eine amerikanische Chinesischstudentin kennenlernen will und er kein Chinesisch kann und sie kein Russisch, dann wird das auf diesem Campus kaum gehen.

     
    Morgens ein totes Tier auf der Straße. Wir können es nicht identifizieren, aber beschreiben. Das war ein Opossum, sagt Doris.

Samstag, 3. Juli
    Manfred und Matthias sind mit den Studenten Fußball schauen. Ich gehe in die Middlebury Sporthalle schwimmen. Alles ist hier überdimensioniert. Jeder Schwimmer hat eine abgetrennte Bahn für sich. Das Wasser ist behandelt. Nicht mit Chlor, mit etwas anderem, das ich nicht kenne. Fast schäumt es.

4. Juli
    Ich sitze einem Mädchen gegenüber mit weißesten Zähnen. Die Zähne sind nicht nur weiß, sie haben einen glänzenden Schmelz. Jeder einzelne Zahn ist gerade und strahlt. Wenn sie spricht, sieht man zwei Reihen perfekter Zähne. So überperfekt, jedes Maß übersteigend, denke ich, können diese Zähne nicht ganz natürlich sein. Vielleicht sind sie aus Porzellan. Solche Zähne sind vermutlich sehr teuer, denke ich. Und dann denke ich, daß das ja auch ein seltsamer Verdacht ist. Sie ist noch Undergraduate, will im Herbst in Kärnten als Englischlehrerin anfangen. Ich kann ihr kaum zuhören, weil ich immer auf ihre Zähne sehe. Als sie aufsteht, sehe

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