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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Ich höre ihn aus dem
Nebenzimmer. Fabio fragt sofort wieder, wie spät es sei. Matthias sagt: viertel nach sechs Uhr morgens. Fabio staunt. Ob er schon Hochhäuser gesehen hätte? Nein, sagt Matthias, hier gebe es keine Hochhäuser und Barack Obama habe er auch nicht gesehen. Aber zwei lange Limousinen. Und gestern sei er in einem BMW gefahren. Ich habe gern, wie sie romanisch sprechen; sie erden mich in Amerika.
     
    Doris wohnt im Haus nebenan. Sie hat uns in ihrem alten BMW in einen Supermarkt mitgenommen. Matthias fand das Auto wunderbar. Im Supermarkt war es eiskalt. Wir haben nicht verstanden, warum der Raum künstlich so stark heruntergekühlt wird. Wenn wir das nächste Mal einkaufen gehen, sagen wir uns, nehmen wir Jacken mit. Zu Hause ziehen wir uns an, wenn wir rausgehen; in Amerika muß man sich offensichtlich anziehen, wenn man hineingeht.
     
    Am Abend Wein in Doris’ Garten.
    Matthias sitzt vor dem Haus auf den Stufen. Er beobachtet amerikanische Autos.
     
    Die anderen Eichhörnchen hier. Er versucht, sie anzulocken. Sie sind größer als europäische Eichhörnchen, sie haben einen breiteren Schwanz. Sie scheinen fragiler, weil sie so springen, als schwebten sie in einer kleinen Verzögerung über dem Boden.

     
    In der Mensa des Middlebury College. Schüler und Lehrer essen zusammen an langen Tischen. Matthias ist bester Laune. Mit einem Tablett geht er immer wieder an den verschiedenen Buffets vorbei: Vorspeisen und Hauptgerichte, Fleisch, Fisch, verschiedene Gemüse, Eierspeisen, Salate, Kuchen, Obst. Hinter den Buffets wird direkt gekocht. Wir sehen die Hände der Köche, Hauben. Matthias probiert alles aus. Es gibt auch eine Eisvitrine und eine Softeismaschine und Gläser voll bunter Streusel zum Drüberstreuen. Matthias kombiniert waghalsige Speisenabfolgen. Aber er ißt sie auf. (Meistens.) Vor der Glasfront der Halle liegen grüne Rasenflächen, dahinter sanfte Hügel.
     
    Das Frühstück nehmen alle Sprachschulen zusammen ein, zwischen 7 Uhr und 9 Uhr. Die Hauptmahlzeiten aber finden getrennt statt. Man will keine »Sprachvermischung«. Wir von der Deutschen Schule tragen lila Buttons, auf denen »GN« steht für German School. Ich achte auf die Buttons der anderen und lerne: Es gibt auch die Italienische, die Chinesische, die Japanische, die Portugiesische, die Russische und die Spanische Schule.
    Matthias fragt: und wo ist die Romanische Schule? Wir werden das anregen, sage ich.
     
    Das Middlebury-Konzept der »immersion«. Die Studierenden sollen in die zu lernende Sprachwelt eintauchen. Sie legen einen mündlichen Spracheid ab und unterschreiben
einen Vertrag, daß sie auf dem Campus nur in der zu erlernenden Sprache sprechen. Das gilt auch für Anfänger. Man hilft sich zur Not mit Zeichnungen, Pantomime. Aber es ist absolut verboten, auf dem Campus Englisch zu sprechen. Die Studierenden lernen also im Unterricht, aber auch während der Mahlzeiten, in der Freizeit.
    Beim Frühstück plötzlich der Gedanke: In Sent Sprachferien nach diesem Konzept des Eintauchens anbieten! Für ein, zwei Wochen könnte Sent ein romanischer Sprachcampus werden. Man müßte romanische Familien finden, die Sprachschüler aufnehmen und bereit wären, mit ihnen zu leben. Die Sprachschüler wiederum könnten sich aussuchen, welches Leben sie teilen wollen: beim Bauern, Schreiner, Lehrer, im Laden, beim Friseur, beim Bäcker. Man würde gemeinsam arbeiten, essen, auch die Freizeit zusammen verbringen. Das Ganze sollte begleitet werden von einigen Stunden Sprachunterricht am Tag und vielleicht einem kleinen kulturellen Programm am Abend. Und natürlich würde vorher ein verbindlicher romanischer Spracheid abgelegt werden: Be rumantsch! Alle die mitmachen, würden einen Button tragen »R«. Auch Geschäfte könnten dabei sein. Sie hätten dann ein »R«-Plakat an der Tür. Und die Touristen wüßten: Gerade sind die Romanischen Wochen in Sent. Dann müßten sie damit leben, daß nicht auf Deutsch ausgewichen wird. Ich wäre die erste Schülerin, die sich anmeldet. Ich müßte Uorschla überreden, daß ihre Familie mitmacht (und mich nimmt).

     
    Campusleben. Man könnte süchtig nach so viel Jugend werden. Am Abend mit dem Auto zum See gefahren. Grüne, grüne Weiten, Hügel, am Wegrand kleine Hasen. Matthias beginnt am Donnerstag einen 2-Stunden-Kurs »Italiano per bambini«. Sein neuer chinesischer Freund, mit dem er sprachlos Fußball spielt, kommt mit.
     
    Silvia schreibt eine Mail aus Sent

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