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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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gehe und ob ich in Ordnung sei.
    (Wenn dein Tacho stimmt, komm ich auf der Strecke übrigens auf 45 kmh *g*).
    (Der Geschwindigkeitsmesser an meinem Fahrrad ist in Ordnung.)
     
    Ich rufe Silvia an. Am Morgen nach dem Unfall ist sie gleich zu Iris gegangen. Iris hat ihr Medikamente gegeben, die Wunden an Knie und Schulter verbunden. Silvia klingt heiter.
    (Ich möchte ein Gedicht mit »tema« und »temma« schreiben, mit »Thema« und »Angst«.)

25. Juli
    Im College ein Schumann-Vortrag. Die Referentin spricht über die Vertonung von Eichendorffs Mondnacht, über den Reiz der Unsicherheit der Tonart am Anfang. Eine Studentin fragt, was das sei: die Tonart. Die Dozentin schlägt zwei Töne an und dazu verschiedene Akkorde, in denen diese Töne vorkommen. Hören Sie, sagt sie, da könnten diese Töne dazugehören, oder auch dazu, oder dazu. Dann sagt sie, die Tonart ist die Heimat der Klänge, da, wo sie zu Hause sind.

30. Juli
    Manfred bringt uns nach Burlington. Rückflug mit Matthias. Mein Schreib-Kurs war doppelstündig, deshalb bin ich früher fertig. Manfred hat noch zwei Wochen Unterricht.

31. Juli
    Ankommen in Zürich, Paßkontrolle. Ein junger Mann sieht sich unsere Pässe sehr lange an. Dann fragt er: Wie stehen Sie zu diesem Kinde? Ich bin die Mutter, sage ich und beherrsche mich. Kaum sind wir durch die Paßkontrolle, biege ich mich in einem Lachanfall aus Übermüdung. Matthias lacht mit und sagt immer wieder: zu diesem Kinde, zu diesem Kinde, wie stehen Sie zu diesem Kinde! Er hat mich für die Großmutter gehalten, die ich leicht sein könnte. Aber warum fragt er danach? Ich habe mein Glück geschmuggelt.
     
    Zürich Hauptbahnhof. Zürichsee, Walensee. Landquart. Gleis sechs. All die Wanderer. Aber wir fahren nach Hause. Durch die Felsenpforte ins Prättigau. Bei Klosters in den Tunnel. Es ist der Aqualino, der Morgenzug, der Reisende nach Scuol ins Bad bringen soll. Ich mag ihn nicht so, denn es gibt keine Durchsagen auf romanisch, dafür Landschaftserklärungen auf deutsch und englisch. Und im Tunnel geht eine Bahnangestellte mit
einem Brett voll aufgeschnittener Wurst oder Bündnerfleisch und Ferienprospekten durch den Zug. Für Einheimische ist das ein bißchen albern. Viva la Grischa! prosten sich zwei ältere Paare, die keine Bündner sind, in sportlicher Ausrüstung zu. Sie haben sich einen Wein für die knapp 20 Minuten Tunnelzeit mitgebracht. Mit 19,042 Kilometern ist der Vereinatunnel der längste Schmalspur-Eisenbahntunnel der Welt.
     
    Dann blinzeln wir ins Licht. Letzte Schneereste in den Felsspalten, aber man muß sie suchen. Engadiner Sommer. Am Bahnhof in Scuol steht Andreas. Zu Hause hat Silvia den Hund frisch gebürstet. Ein Freund aus Tübingen hat eine Suppe gekocht. Wie leicht das Leben ist.
     
    Später, beim Einkaufen in Scuol sehe ich Brigitte von weitem auf dem Gehsteig. Sie sieht mich nicht; sie begleitet Feriengäste ihres Projekts Betreute Ferien. Sie beugt sich zu einem jungen Mann hinunter, der in schräger Haltung in einem Rollstuhl hängt. Ein zweiter junger Mann, auch im Rollstuhl, hält seine Arme in die Luft, als wolle er dirigieren.

1. August
    Schweizer Nationalfeiertag. Die hohen Palazzi machen aus dem Dorfplatz fast einen geschlossenen Raum. Senter, Randulins, Feriengäste sitzen an Holztischen, essen
Fleischspieße, Würste. Es ist warm und die Schwalben kreuzen. Auf den Berggipfeln brennen die Höhenfeuer. Auf dem S-chalambert, dem Piz Uina, gegenüber auf dem Piz Ajüz, dem Piz Triazza, dem Piz Lischana, dem Piz San Jon. Die Senter wissen genau, wer aus dem Dorf welches Feuer entzündet hat. Ich muß fragen. Später stehe ich neben Ida und versuche, den Schweizerpsalm auf romanisch zu singen.

2. August
    Silvia ist abgefahren; Andreas konnte ihre Arbeit im Hotel Val Sinestra übernehmen. Die Kinder sind in Sent nicht zu Hause, aber sie finden hier Ferienarbeit, und sie kommen auch gerne zum Skifahren. Und so haben wir sie doch einige Wochen, ja Monate im Jahr. Manchmal denke ich, vielleicht sind sie auf diese Weise länger bei uns, als wenn wir weiter in Tübingen gewohnt hätten.

6. August
    Es hat bis zur Baumgrenze heruntergeschneit. Der Himmel ist weiß. Nebel steigen aus dem Tal weiß über das Grün der tieferen Hänge gegen das Weiß der bestäubten Gipfel.

14. August
    Werner plant ein Sommerfest in der Buttega, dem Wohn- und Arbeitsprojekt für Menschen mit einer Behinderung in Scuol. Er hat Rut Plouda und mich zum Lesen eingeladen. Rut soll kurze

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