Alle Farben des Schnees
ich,
daß sie sehr kurze Hosen trägt und dicke Oberschenkel hat. Aber die Beine stören nicht. Die Zähne sind stärker.
Mittwoch, 7. Juli
Es ist heiß. Die echten Chinesinnen, die Sprachlehrerinnen, gehen auf dem Campus unter Sonnenschirmen. Die Schönste von ihnen trägt ein kurzes Streifenkleid, ihr Sonnenschirm hat die gleichen Streifen.
Gestern im Schwimmbad eine ebenmäßig gebräunte, sportlich schlanke Frau im blauen Badeanzug. Sie sah vollendet aus. Ihre Zähne leuchteten. Immer sofort der Verdacht, daß das Schöne hier künstlich ist. Im Supermarkt stehen Reihen von Zahnbleichmitteln, Regale mit Selbstbräunern. Und ich beobachte nun genau Stufen von Bräunungen an nackter Haut. Die Kinder hier sind selten so gleichmäßig braun wie die Erwachsenen.
Wegen Straßenbauarbeiten mußte vor unserem Haus ein Stück Grünfläche umgegraben werden. Heute morgen war die Erde mit grünen Schaummassen bedeckt. Ich frage Doris. Klar, sagt sie. Im Schaum sind Grassamen. Wenn die grüne Farbe verblaßt, werde vermutlich noch einmal nachgespritzt. Und dann kommen auch schon die ersten Halme.
Doris sagt, all die Rasenstücke vor den Häusern werden
stark mit Gift behandelt. Damit sie dicht und gleichmäßig grün wachsen. Sie sind künstliche Natur und unterstehen einem nachbarschaftsüberwachten Schönheitszwang. Kaum sind sie wenige Zentimeter hoch, müssen sie gemäht werden. Und wer seine Wäsche in den Garten hängt, sagt Doris, von dem glaubt man, er habe nicht das Geld für einen Trockner.
Die Collegegebäude stehen auf einer riesigen Rasenfläche, über die Wege aus großen Betonplatten führen. Immer wieder stehen Adirondack-Stühle auf dem Rasen. Ich kenne sie aus amerikanischen Filmen. Choreographie: Eine Studentin läuft auf dem Betonplattenweg rückwärts über das Collegegelände. Sie spricht laut über das College. Ihr folgen mögliche neue Schüler, mit ihren Eltern. Es sind mehrere solcher Gruppen unterwegs, die auf den Betonplatten-Bändern laufen, die die Gebäude verbinden. Dazwischen die breiten Stühle auf dem grünen Teppichrasen.
14. Juli
Auf dem Weg von der Mensa zum Unterricht ist es so heiß, daß ich an den Armen Gänsehaut bekomme. Die Haut reagiert auf die Hitze mit Erschauern.
15. Juli
Neuer grüner Schaum auf den frisch keimenden Grashalmen, der sich im Regen in grünen Matsch verwandelt. Wiesen mit Make-up.
Eine meiner Studentinnen, eine Lehrerin aus Colorado, schreibt: »Es sind da einige deutsche Wörter, die mich sprechen.«
16. Juli
Nach dem Unterricht regnet es so stark, daß ich die Sandalen ausziehe und barfuß nach Hause gehe. Die Betonplatten sind warm, an manchen Stellen bilden sich kleine Pfützen, aus denen Regentropfen zurückspringen.
17. Juli
Ich möchte Photos von Sent zeigen. Aber es öffnen sich Felder von einem Computerspiel, das ich nicht kenne. Matthias war an meinem Notebook. Meine Bilder sind verschwunden. Ich erschrecke. Die Spielaufforderungen lassen sich erst nach verschiedenen Versuchen löschen. Die Photographien bleiben weg. Ich fühle mich verletzt. Ich nehme das persönlich, denke ich.
Aber mein Notebook ist nicht mein Gedächtnis.
22. Juli
Silvia schreibt:
Und Uorschla sagt zu mir, als ich den Garten gieße: »Wie geht’s den Amerikanern?«
24. Juli
Mail von Silvia:
Ich kam von der Arbeit. Der Kiesweg vom Val Sinestra nach Sent ist verführerisch, weil er leicht abfällt, man fast nicht bremsen muß. Ich weiß noch, daß ich dachte: wie schön, so ein Fahrtwind um die Schläfen. Man kann nicht hinter die Kurven sehen. Und da war plötzlich das Auto. Ich hab zu stark gebremst, bin auf die Straße gefallen. Zum Glück hat das Auto noch rechtzeitig gehalten. Ein Mann steigt aus, spricht mich auf romanisch an, packt mich unter den Schultern und setzt mich auf die Seitenbefestigung. Dann sagt der andere: Nein, das ist die kleine Overath. Und sie wechseln sofort auf deutsch. Ich bedanke mich halblaut, sage, das geht schon. Da sagt der andere: Du hast keine Farbe im Gesicht zum Velo-Fahren. (Fast amüsiert.) Ich blute auf den Autositz. Der Mann am Steuer sagt, er habe Wild beobachten wollen (auf dem Rücksitz liegen seine Sachen). Er habe hier schon alles gesehen mit diesen Velos. Er sei nicht wirklich überrascht gewesen, als er mich sah.
Er bringt mich bis vor die Haustür, stellt mein Rad
neben mich und sagt, ich soll euch grüßen. Er sei Herr Taverna, euer Schreiner. Am nächsten Morgen ruft er an und fragt, wie es mir
Weitere Kostenlose Bücher