Alle jagen John Mulligan
Blätter mit einem eigenen fast zauberhaften Duft. Zugleich stand noch der Mond in voller Scheibe am Himmel und warf sein fahles Licht durch die nur spärlich belaubten Wipfel auf die niederen Rindendächer und halb verglommenen Feuer, um die sich wunderliche Gruppen fest in ihre Decken eingehüllter menschlicher Gestalten und ganze Scharen halbverhungerter Hunde gelagert hatten.
Die Biwakierenden schienen sich übrigens völlig sicher zu fühlen oder der Wachsamkeit der ausgestellten Posten zu vertrauen, die nötige Zeit der Ruhe nicht durch nutzlose Sorge zu unterbrechen oder zu stören. Nur hier und da hob einer der Schläfer manchmal den Kopf, aus müden Augenlidern nach dem dämmernden Tag emporzuschauen, und hüllte sich dann fester in seine Decke, die kalten Morgennebel von sich fernzuhalten.
Da glitt eine dunkle, nackte Gestalt, mehr einem Schatten als menschlichem Wesen gleich, am Ufer des Stromes herauf und durch die dichten Büsche hin dem Lager zu. Die Hunde hoben knurrend den Kopf und drückten ihn winselnd wieder gegen ihre Weiche, als sie mit einen Augenblick hochgehaltenen Nasen den Bekannten gewittert hatten. Dieser aber sprang mitten zwischen ihnen hin, zum nächsten Feuer, schürte die Brände zusammen, bis sie zu heller Glut emporloderten, und wärmte daran die halberstarrten nackten Glieder. Doch nur kurze Rast gönnte er sich an der wohltuenden Glut. Sein rasch umhergeworfener Blick hatte bald das Rindendach des weißen Häuptlings unter den übrigen herausgefunden, und zu diesem hinanschleichend, faßte er nach der dort ausgestreckten kräftigen Gestalt Gentleman Johns und legte die Hand auf dessen Schulter.
Im Nu fuhr der Buschranger von seinem Lager empor, und die in demselben Augenblick auch aufgegriffene und gespannte Pistole bewies deutlich genug, daß er während der ganzen Nacht hindurch doch nur »mit der Hand am Kolben« geschlafen hatte.
»Pst!« flüsterte der Australier, den Finger warnend erhoben. »Sie kommen!«
»Sie kommen? - Wer?« rief John, sich wild die Haare aus der Stirn streifend.
»Die Weißen«, lautete die vorsichtige Antwort des Australiers. »Müssen die ganze Nacht bei Mondschein marschiert sein - sind oben am Fluß und eben dabei, herüberzukommen.«
»Und wie viele, Bukkul?« rief John, der erst jetzt in dem Alten den zum Kundschaften ausgesandten Vater seiner Frau erkannte.
»Tausend«, erwiderte dieser mit dem Zahlwort, das in der Sprache der Australier eine unbestimmte, aber sehr große Zahl bedeutet. »Tausend. Haben Pferde und Gewehre und viele rote Jacken und blaue Jacken und lange Messer.«
»Alle Teufel!« brummte John leise vor sich hin, »das ist um vierundzwanzig Stunden zu früh, läßt sich aber jetzt nicht ändern. Die Burschen sollen uns wenigstens nicht unvorbereitet finden. Wecke die Deinen, Bukkul!«
Ein scharfer Pfiff, den er zugleich ausstieß, schallte gellend durch den stillen Wald und brachte im Nu die schlafenden Buschranger auf die Füße. War es doch das Alarmzeichen ihrer Schar, und die Bande war sich der Gefahr, in der sie fortwährend schwebte, viel zu gut bewußt, als daß sie die Warnung auch nur für einen Moment unbeachtet gelassen hätte.
Im Nu fuhren sie von ihren harten Lagern empor, und, ihre Taschen umgehängt, die Gewehre in ihren Händen, sammelten sie sich um ihren Führer, der indessen schon einige der jungen Leute von den Australiern ausgeschickt hatte, das Vorrücken der Feinde zu beobachten.
Gentleman John übrigens, so viel persönlichen Mut er auch selbst besaß, fühlte doch viel zu gut das Mißliche seiner Lage, und er war keineswegs blind genug, sich über das Gefährliche auch nur einen Augenblick zu täuschen. Andere Kundschafter hatten berichtet, daß sich die wider ihn ausgesandte Macht auf nahezu hundert Mann belief, und wenn er denen gegenüber leicht eine gleiche Zahl ins Feld stellen konnte, wußte er doch recht gut, daß er sich nicht einmal ganz fest auf seine weißen Kameraden verlassen durfte, während die Australier bei der ersten Salve davonliefen oder doch den sicheren Busch zur Deckung suchten.
Außerdem konnte, von dem Versprechen der Straffreiheit und der goldenen Belohnung verblendet, selbst während des Kampfes leicht einer der Seinigen zum Verräter werden, und ihrer aller Untergang wäre dann gewiß gewesen. Das ja ist das Unglück des Verbrechers, daß er niemandem, selbst seinen Helfershelfern nicht, mehr trauen darf und in der ganzen Menschheit seinen Feind zu suchen hat. Auf
Weitere Kostenlose Bücher