Alle lieben Merry
zahlreichen Gänge des Geschäfts.
Charlene war in ein ungeheuer langes Gespräch mit einem Typen verwickelt, den ein Geek-Squad-Schild an seinem Hemd als Top-EDV-Berater auswies. Merry wollte sich nicht bequatschen lassen, aber Charlie nutzte die Gelegenheit zu einem kleinen Flirt – trotz Military-Outfit.
Doch erst als sie in die Abteilung mit den neuen Computern kamen und Merry einige Verkäufer – darunter einen, der mit ihr ausgehen wollte – verjagt hatte, kam sie endlich mit Charlene ins Gespräch. Das Kind beugte sich über einen Sony Laptop, als wäre es das niedlichste Hundebaby, das sie je gesehen hatte. Ihr Kopf tauchte gar nicht mehr auf. Es war Liebe auf den ersten Blick. Immer wieder strich sie über die Tasten und gab dabei Töne von sich, die der Version orgiastischer Seufzer einer Elfjährigen gleichkamen. Sie war regelrecht verklärt.
Nie hatte es einen idealeren Ort oder einen günstigeren Zeitpunkt gegeben, um mit ihr zu reden, dachte Merry. “Charlie …”, begann sie, “ich möchte dir etwas sagen. Etwas ziemlich Ernstes.”
“Ich weiß nicht, wie du es herausgefunden hast, aber wenn es darum geht, dass ich Dougall auf dem Gang geohrfeigt habe …”
“Nein.” Merry schloss kurz die Augen. Schon wieder Dougall … Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um vom Thema abzukommen.
“Charl, du hast tausendmal gesagt, dass du glaubst, ich würde weggehen. Dass du nicht glaubst, dass ich bleibe.”
“Hm, tja …” Charlie blieb über den schicken Sony gebeugt, aber Merry sah, wie sie plötzlich erstarrte.
Merry zog einen der Schreibtischstühle, die es zu kaufen gab, zu sich heran und setzte sich neben Charlene. “Wenn du das sagst, bin ich mir nie sicher, wie du es eigentlich meinst. Ob du damit sagen willst, dass du dir wünschst, dass ich fortgehe, oder dass du davor Angst hast und dich im Stich gelassen fühlen würdest.”
Charly warf ihr einen scharfen Blick zu. “Ich habe vor überhaupt nichts Angst.”
“Nun, ich schon. Ich habe vor vielen Dingen Angst.” Merry versuchte, sich zu entspannen, doch es fiel ihr schwer. Den ganzen Tag hatte sie darüber nachgedacht, auf welche Art sie zu Charlene durchdringen konnte, aber es schien nur auf eine einzige Art möglich – mit Ehrlichkeit. Da sie nie gerne von sich aus alten, ärgerlichen und unnützen emotionalen Ballast zur Sprache brachte, war es zwangsläufig schwer, jetzt darüber zu sprechen. “Eigentlich wollte ich dir Folgendes sagen … Als ich ein Mädchen war … gerade elf geworden, also ein bisschen jünger als du, hat sich meine Mutter davongemacht.”
“Wirklich?” Wieder ein kurzer Blick. Allerdings nicht so abwehrend. “Wohin ist sie gegangen?”
“Ihr war ihre Karriere zu der Zeit sehr wichtig. Dann wurde sie befördert, aber sie musste nach Argentinien gehen, wenn sie den Job annehmen wollte. Nicht für immer, aber für mindestens zwei Jahre. Sie und mein Vater hatten deshalb Streit, und schließlich endete es mit der Scheidung.”
“Oh, Scheidungskram.” Charlie stieß einen wissenden Seufzer aus, der zu verstehen gab, dass sie mit derlei Angelegenheiten bestens vertraut war.
“Genau, Scheidungskram. Jedenfalls, ich weiß seit ewigen Zeiten, dass die Leute mich … wenn sie mich zum ersten Mal sehen … für flatterhaft halten.”
“Merry, du
bist
flatterhaft.”
Merry zupfte an ihrem Ohrläppchen. Hie und da wäre es nett, wenn Charlie nicht ganz so direkt wäre. “Okay, ich gebe zu, ich hatte ein halbes Dutzend Jobs. Und ich neige dazu, etwas anzufangen und dann abzubrechen. Ich bin auch nicht auf irgendeinem Karrieretrip. Aber das hat einen Grund, Charlie.” Es gab auch einen Grund dafür, dass sie über diese Dinge nie redete, weil es eben überhaupt nicht lustig war, sie auszusprechen. “Ich war sehr wütend, als meine Mutter wegging. Sehr verletzt. Mir kam es so vor, als wäre ich nicht liebenswert genug, dass sie bleibt. Nicht wichtig genug. Als ich dann erwachsen wurde, wollte ich nicht wie sie werden – nicht wie jemand, dem der Beruf alles bedeutet. Wie jemand, der seine Kinder, seinen Mann, einfach alles verlässt – nur wegen eines Jobs.
Charlie nahm ihre Hände von der Computertastatur. “So würde ich auch nicht werden wollen.”
“Ich gebe zu, mein beruflicher Werdegang sieht wie der Lebenslauf einer mexikanischen Springbohne aus. Aber der Grund dafür war nicht, dass ich mich nicht festlegen wollte, sondern dass ich nie wollte, dass mir ein Job zu wichtig wird. Ich
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