Alle lieben Merry
einfach in die Küche, krempelte die Ärmel hoch und nahm sich erneut die Kaffeemaschine vor. Sie war ein prächtiges Gerät. Bestimmt das Beste vom Besten. Wahrscheinlich hatte sie mehr gekostet, als sie auf ihrem Sparbuch hatte. Nur, irgendwo musste doch eine Art Knopf sein, auf den man drücken konnte, damit dieses Teil sich öffnete, in das man das Kaffeepulver gab. Sie konnte ihn einfach nicht finden.
Minuten vergingen. Weitere Minuten. Dann stand Charlene plötzlich in der Tür und sagte mit so angewiderter Stimme, dass man sich fragte, wie sie es überhaupt aushielt: “Was versuchen Sie da zu machen?”
“Oh, bin ich froh, dass du da bist. Weißt du zufällig, wie man dieses Ding in Betrieb setzt?”
“Natürlich.” Das Kind ging zur Kaffeemaschine und drückte irgendwo drauf. Wie von Zauberhand öffnete sich der Behälter für den Kaffee.
“Danke”, sagte Merry und begann sofort, Pulver nachzufüllen. Möglich, dass sie noch eine Stunde länger ohne echten Kaffee überlebt hätte, aber dafür hätte sie nicht die Hand ins Feuer gelegt.
“Sagen Sie gar nichts?” Das störrische kleine Fräulein hatte sich wieder zur Tür zurückgezogen. Dort schien ihr offenbar im Fall des Falles eine leichte Flucht möglich.
“Was soll ich sagen?”
“Kommen Sie schon. Sie wissen, was ich meine.”
Merry schaute auf – aber erst, als sie überzeugt war, dass die Maschine tatsächlich folgsam für sie Kaffee machte. “Selbstverständlich möchte ich wissen, was passiert ist. Aber ich dachte, du bist vielleicht noch durcheinander und traurig und wirst mir von der Prügelei schon erzählen, sobald du glaubst, dazu in der Lage zu sein.”
Merry war sehr gespannt auf Charlies Reaktion. Um es sich nicht anmerken zu lassen, begann sie, in der Einkaufstüte nach einer Packung Kekse – denen mit Milchcreme – zu kramen. Als sie sich umdrehte, hatte Charlene einen Fuß in die Küche gesetzt. Nur einen. So vorsichtig, als hätte sie einen Python in der Hand, zog Merry die Kekspackung heraus, öffnete sie und legte sie auf den Küchentisch. Dann machte sie sich auf die Suche nach einer Kaffeekanne. Zwar würde sie im Moment den Kaffee auch direkt aus der Maschine schlabbern und die letzten Tropfen wie ein Hund auflecken, aber ein normaler kannenartiger Behälter wäre schon eine nette Sache.
“Er ist in der Achten. Sein Name ist Dougall. Dougall Whitmore. Er hat mich gefragt, was mit meinem Haar los ist.”
Aha? Sieh an! Merry bemühte sich, nicht zu triumphieren – aber es war ziemlich verlockend. “Und du hast gesagt …”
“Ich habe nichts gesagt.”
“Sicher”, murmelte Merry. Wer das glaubte, glaubte auch an die Zahnfee. Was sie, wie ihr zufällig gerade einfiel, sogar über die Pubertät hinaus getan hatte.
“Aber dann hat er gesagt, ich sehe schwul aus. Und ich habe gesagt, wenn schwul bedeutet, dass ich wie mein Dad aussehe, tue ich das mit dem größten Vergnügen. Dann hat er gesagt, ach, vielleicht bist du ja nur eine Lesbe und hast jetzt dein Coming-out.”
“Und dann?”
“Dann habe ich ihm eine reingehauen.” Es dauerte ein wenig, aber schließlich riskierte Charlene es, sich mit einer halben schmalen Pobacke auf die Stuhlkante zu setzen – nah genug, um nach den Keksen greifen zu können.
“Ist deine Hand heil?”
“Machen Sie Witze? Nein. Sie tut total weh. Ich verhaue niemanden mehr. Es lohnt sich nicht. Ich dachte, es ist vielleicht etwas gebrochen. Meine ganze Faust.”
“Lass mal sehen … Meine Güte! Wir tun besser Eis drauf.” Während Merry nach Eiswürfeln und einem Plastikbeutel suchte, sagte sie: “Okay, Charlie, dir ist klar, dass es für den Kerl erniedrigend und peinlich ist, dass ein Mädchen ihn verhauen hat. Also wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn du das in deine Überlegungen, wie du morgen in der Schule mit der Angelegenheit umgehen willst, mit einbeziehst.”
“Hä? Das ist alles?”
“Was meinst du?” Merry legte den Eisbeutel vorsichtig auf Charlies Hand und überließ es dem Mädchen zu bestimmen, wie fest oder sanft sie ihn drücken sollte. Der Bürstenschnitt hatte, wie sie feststellte, seine beste Zeit bereits hinter sich. Zum ersten Mal stand sie nahe genug bei Charlie, um unter dem geligen Zeug den zart sprießenden, wundervoll blonden Flaum zu sehen.
“Sie schimpfen also nicht mit mir? Oder bestrafen mich?”
Merry holte tief Luft. Sie war sich bewusst, dass dies ein Test war. Vielleicht sogar der entscheidende Test. Sie setzte zu
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