Alle lieben Merry
Merry, brauchte jemanden, der ihn liebte. Niemanden, der ihn nur mochte oder seinen großzügigen Charakter ausnützte, sondern eine Frau, die seiner Zugeknöpftheit ein Ende bereitete und ihm ermöglichte, mal so richtig aus sich herauszugehen.
“Hi, Merry.” Der verschlafene Junge mit dem strubbeligen Haar hatte endlich bemerkt, dass außer ihm noch jemand wach war.
“Hi, Quinn.” Aber ihre Gedanken waren noch bei Jack. Er brauchte jemanden wie
sie.
Vielleicht war ja sie diejenige, die diesen Mann auf ein Bett werfen, die Initiative ergreifen und es ihm mal so richtig zeigen sollte …
Während Merry durch das Tor des Shoppingcenters ging, fragte sie sich, was sie den Schicksalsgöttern jemals getan hatte, dass sie sie so ungnädig behandelten. In letzter Zeit schien nichts, aber auch überhaupt nichts zu funktionieren wie geplant. “Na, komm schon”, drängte sie Charlene, die ein Gesicht machte, als wäre das Überqueren der Schwelle eines Einkaufscenters so reizvoll wie ein Malariaschub.
“Ich hasse Einkaufen. Ich will nichts kaufen. Ich brauche nichts. Ich will nichts.” Charlie zögerte. “Außer, wir gehen in den Plattenladen.”
“Das werden wir auch. Als Belohnung –
nachdem
wir hier fertig sind.”
Charlie stöhnte wie ein Tier unter entsetzlichen Qualen, aber sie trottete weiter.
Merry dachte an die letzte Woche, in der sie so verwegene Pläne geschmiedet hatte, Jack zu verführen. Fantastische, großartige Pläne. Pläne, die sie in ihren Träumen ausgebaut hatte, in Tagträumen und den nächtlichen Versionen davon, in denen immer mehr Details dazugekommen waren, die wiederum um verschiedene fantasievolle Variationen ergänzt worden waren.
Doch das Leben einer Vorstadtmom war viel kontraproduktiver für sexuelle Abenteuer, als sie je geahnt hatte. Es war wahrscheinlich leichter, einen Mann am Gipfel des K2 zu verführen. Oder während einer Wildwasserrafting-Tour im Gewitter. Oder am helllichten Tag auf dem Highway.
Mütter hatten keine Privatsphäre. Weder tagsüber noch in der Nacht gab es eine Zeit, in der einen nicht entweder das Kind oder ein Anruf plötzlich stören konnte. Sie hatte viel Freizeit, nur war das nicht wirklich
freie
Zeit. Wenn sie sich nicht gerade auf ein Treffen mit June Innes vorbereitete, wusch sie verschwitzte Fußballklamotten, chauffierte ein Grüppchen Kinder ins Kino oder fuhr als Begleitung auf einen Schulausflug mit. Soweit Merry es beurteilen konnte, schien jede einzelne dieser Aktivitäten, die mit dem Dasein als Mom zu tun hatte, dazu prädestiniert, die sexuelle Lust einer Frau unter sich zu begraben.
Andererseits war das jetzige Abenteuer gar nicht mal so schlecht.
Shoppen war nicht so toll wie Sex. Oder Liebe. Oder wie Zeit für sich zu haben oder sie mit einem Erwachsenen zu verbringen, den sie gern hatte. Aber es war etwas, das sie ganz bestimmt perfekt beherrschte – und das bedeutete, dass sie zur Abwechslung wenigstens einmal selbstbewusst war.
“Hat Mrs. Innes gesagt, dass ich das tun muss? Als sie am Montag bei uns war?”
“Nein.” Das Treffen mit June Innes war wie üblich verlaufen.
Die Verfahrenspflegerin hatte felsenfeste Vorstellungen davon, was ein elfjähriges Mädchen tun sollte und was nicht. Nichts, was Merry sagte, war je richtig oder von Bedeutung. Es war keinen Pfifferling wert. Und für alles, was Merry tat, galt das gleiche. Es war nichts wert. Und ja, diese Treffen belasteten Merry – aber am heutigen Nachmittag war ihr das völlig egal.
Sie schob die langsame Schildkröte an ihrer Seite – die mit ihrem eingezogenen Kopf so aussah, als führe der Besuch im Einkaufscenter bei ihr zu schweren Depressionen – zum Aufzug.
“Hör mal, Merry, es gibt einen Grund, warum ich nicht zu dieser Tanzveranstaltung gehen will. Vielleicht habe ich vergessen, es dir zu sagen. Ich tanze nicht.”
“Hm. Ich weiß, dass du glaubst, dass das einleuchtend klingt. Aber du hast es ja noch nicht einmal versucht. Vielleicht magst du es. Es ist sehr … sportlich.”
“Aber es gibt noch einen Grund.”
“Hm.” Der Aufzug war oben angelangt und sie dirigierte Charlie zur Abteilung für Teenagermode.
“Der wahre Grund ist, dass ich Jungs lieber mag als Mädchen.”
Merry zog eine Augenbraue hoch. “Ich auch. Willkommen im Club. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Natur es so vorgesehen hat.” Ha! Es war ihr gelungen, Charlie zu verblüffen. Aber nur für etwa eine Sekunde.
“Ich meine nicht diese Art von ‘mögen’.
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