Alle lieben Peter
ausgelöschtem Licht und starre in die Finsternis. Der Sturm tobt in den Bäumen, und manchmal stößt er seine Faust durchs Fenster, daß sich die Vorhänge blähen. Ich fühle bis in die letzte Zelle, wie sich da hoch über uns das Wetter aufbaut, gleich einer riesigen dunklen Welle, die sich jeden Augenblick überschlagen kann. Symbol meiner Situation, dieser Tag. Heute morgen noch schien alles gesichert und voller Hoffnung. Und jetzt — das Schiff sinkt. Ich darf mir darüber nichts vormachen.
Hui — war das ein Blitz! Für eine Sekunde stehen die Scheiben des Bücherschrankes im blauen Licht — zwei — drei — vier — und jetzt der Donner, gleich einer riesigen Eisenkugel durch einen gewundenen Schacht herunterrollend und gegen die Wände krachend. Das ganze Haus zittert.
Im nächsten Augenblick habe ich alle Hände voll zu tun. Weffi ist neben mir hochgefahren, steht mit zitternden Hosen und eingeklemmtem Schwanz und starrt gegen das Fenster. Ich knipse schnell das Licht an, damit er die Blitze nicht so sieht. Aber der nächste Einschlag fegt ihn auf den Teppich. Dort bleibt er hechelnd und schlotternd stehen. Der Dicke fällt mit einem Plumps aus dem Schreibtischsessel und kratzt an Frauchens Tür. Auch er zittert und hat den langen, dicken Zungenlappen schlaff aus dem Maul hängen. Die Mama erscheint:
»Was ist mit den Hunden, soll ich einen nehmen?«
»Hat keinen Zweck, Mamachen, ich werde schon mit ihnen fertig. Ich schlafe sowieso nicht.«
»Na, glaubst du, ich schlafe?«
»Natürlich nicht, natürlich nicht, aber jetzt geh und — schlaf weiter!«
Sie verzieht sich gekränkt.
Ich lächle hinter ihr her. Dann wandere ich, unter immer neuen Einschlägen, mit den beiden Angsthasen herum. Nirgends ist es sicher und finster genug, selbst im Heizungskeller nicht. Schließlich einige ich mich mit Cocki auf die leere Garage und mit Weffi auf den großen Stollenschrank unten im Gesellschaftszimmer. Dort kringelt er sich schlotternd auf Mamis alten Nählumpen. Ich decke ihn mit einer durchlöcherten Tischdecke zu. Die Schranktür lasse ich angelehnt, damit er wieder herauskann.
Als ich wieder nach oben komme, sitzt Peter im Schreibtischsessel und starrt aus dem Fenster. Er allein hat keine Furcht und folgt mit großen Geisteraugen den Blitzen. Das eine Ohr ist spitz aufgereckt, das andere ergeben-verbindlich weggeknuckelt. Wahrscheinlich für den Fall, daß seine Furchtlosigkeit höheren Orts doch übel vermerkt würde. —
Ich hebe ihn hoch und nehme ihn mit auf die Couch: »Mein Dunkelmännchen«, sage ich, »mein Jenseitsauge!«
3
In den folgenden Tagen wurde mir sehr schnell klar, daß der Pessimismus, die dunkle Schicksalsangst dieser Gewitternacht berechtigt waren. Der schleudernde Anhänger des Lastzuges hatte nicht nur das Muckelchen, sondern auch unser ganzes bisheriges Leben zertrümmert.
Frauchens Verletzungen waren schwerer als ursprünglich angenommen. Der dicke Dr. Nebelthau wurde zunehmend besorgter. Heimtückische Lähmungserscheinungen traten auf. Irgendwas war kaputt, an der Wirbelsäule oder gar am Kopf. Spezialisten wurden zugezogen, immer neue Röntgenaufnahmen, schmerzhafte Untersuchungen. Es war gar keine Rede mehr davon, daß sie in absehbarer Zeit ihre Stellung antreten konnte. Statt dessen zehrten Ärzte, Medikamente und Rechtsanwaltskosten an unseren Spargroschen. Nur mühsam und widerwillig ließ sich die gegnerische Versicherung das Allernotwendigste entreißen. Sie biß wütend um sich, schoß zurück mit einer ganzen Batterie gewiegter Anwälte, mit der Anforderung immer neuer Gutachten und Gegengutachten. Es war klar, daß ich das Haus nicht mehr halten konnte und mich in meinem Leben vollkommen umstellen mußte.
Der Gefährtin gegenüber mimte ich den Optimisten:
»Die Sache ist ganz einfach, du brauchst dich gar nicht aufzuregen. Du machst jetzt deine Badekur und bist für zwei Monate untergebracht, die die Versicherung bezahlt. Die Mama, Mathilde und ich lösen hier in aller Ruhe den Haushalt auf. Die Möbel werden im Speicher untergestellt, bis mein neues Buch angenommen ist. Die Mama und ich gehen aufs Dorf, irgendwohin, wo’s ganz billig ist. Es wird großartig. Ich freue mich schon drauf. Wenn ich mir vorstelle, daß ich morgens die Augen aufmache, und die Hähne krähen, die Ferkel grunzen, die Kühe muhen. Es riecht nach — nach — na, eben nach Land. Man frühstückt in einer richtigen Bauernstube mit frischen Eiern und Kuckucksuhr und zahmen Tauben
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