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Alle lieben Peter

Alle lieben Peter

Titel: Alle lieben Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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sah auf das Tal zurück. Da lag mein kleines Nest am Silberbach. Aus dem Schornstein kräuselte blauer Rauch, den der Herbstwind schnell wegriß. Grau und gewaltig dahinter die Bergriesen. Wie schön wäre es gewesen, hier zu überwintern. Frauchen hätte hier die richtige Nacherholung gehabt. Vielleicht hätte man die Mama nach Stephanskirchen holen können. — Alles aus. Plötzlich hatte ich ein bitteres Gefühl. Hatte ich mich nicht überrumpeln lassen? Man hätte ja schließlich ein Gentlemanagreement treffen können. Aber sie hatten es ja so eilig, mich loszuwerden. Mein Pensionsgeld gegen Hürzingers Stromgebühren! Da konnte ich natürlich nicht mit. Sie hatten nicht einmal gefragt, wo ich denn hinführe. Aber vielleicht tat ich ihnen Unrecht. Sie hatten eben einfach Angst. Und plötzlich, aus der Tiefe meines Leides, war ich auf eine mysteriöse Weise in diesen Menschen drin. Ich war Anselmus, der nachts nicht schlafen konnte, weil die großen Mühlen seine kleine fraßen und die Töchter keine Mitgift hatten. Ich war der Hürzin-ger, dieser kleinen, kalten, hühnerhaften Frau ausgeliefert. Der gefesselte Gorilla. Ich war aber auch diese Frau, der die Mutterschaft versagt blieb und die ihre Liebe mit den Körnern aus der irdenen Schüssel vor ihre Hühner schütten mußte.
    Das Leid, das ewige, allgegenwärtige, unausweichliche. Es kauerte hinter jedem Busch, nistete in jeder Wiese, geisterte durch jeden Wald und wohnte unter jedem Dach. Wie hatte Buddha gesagt? Das ganze Sein ist flammend Leid. Und deshalb müsse man ihm entfliehen, müsse dieses Leben, den Willen zu diesem Leben, das Haften an diesem Leben aus sich ausreißen, ausbrennen. Niemals, niemals wieder geboren werden. Vielleicht hatte er recht. Wo gab es denn eine verläßliche Aussicht — wo eine Sicherheit? O ja, es gab eine, allerdings nur eine einzige! Daß einem nämlich nach all diesem Gezappel und Gejage, das sich Leben nennt, mit Sicherheit der Kragen umgedreht wurde, sei es, daß man totgeschossen oder überfahren oder vom Krebs gefressen wurde. Jeder Tag dieses ulkigen Daseins brachte uns unserer Hinrichtung näher. Der Tod war das einzige, worauf man sich im Leben verlassen konnte.
    Die Hände über das Steuer gefaltet, starrte ich durch die Scheibe. Das Grün der Wiesen stumpf, die Bäume kahl und windgebogen, die Hecken entblättert und verschrumpft. Die Natur hatte den Kampf aufgegeben und bot ihr müdes Herz dem Dolch des Frostes preis. Finis.
    Rief da jemand? Hinter mir richtete sich Cocki auf, knurrte. »Hältst du die Bappen!« sagte ich böse. Er legte sich sofort wieder hin. Auch Weffi war aufgestanden und wedelte. Ach, der Briefträger. Er schob, aus dem Tal kommend, das Rad, lehnte es an einen Baum, kam herüber. Jetzt kam der auch noch — ausgerechnet! Aber es war vielleicht ganz gut, da konnte ich gleich die Post nach Waldenau umbestellen. Ich kurbelte die Scheibe herunter.
    »Na, Herr Postminister?«
    Er war ganz außer Atem: »Ich kam gerade, als Sie abfuhren. Anselm hat mir erzählt. — Da liegt er ja, der Verbrecher. Tut mir verdammt leid. Hab’ gehört, daß Sie morgen zum Bauerntheater mitkommen wollten. Da hätten wir hinterher so schön eine Maß heben können.«
    Das Bauerntheater!
    »Ja, Herr Postminister, das ist nun mal, wie’s ist. Mir wär’s auch lieber, wenn ich mit dem Mariannchen morgen da hinkommen könnte. Es hat eben nicht sein sollen. Im übrigen ist’s gut, daß wir uns noch sehen: bestellen Sie doch bitte meine Post um — nach Waldenau, postlagernd.«
    Er nickte: »Waldenau? Zur Mama. Na, die wird sich wenigstens freuen. Ach, übrigens — ich habe noch Post für Sie!« Er gab mir zwei Briefe. Ich legte sie, ohne sie anzusehen, neben mich auf den Sitz. Er reichte mir die Hand: »Na, also, dann alles Gute!«
    »Alles Gute, Herr Postminister!«
    Er streichelte Weffi: »Leb wohl, Kleiner!« Dann streckte er den Kopf in den Wagen: »Leb wohl, Cocki — bist doch ‘n feiner Kerl — du Verbrecher. Also — nochmals...«
    »Also...« Ich startete und fuhr an.
    Der Weg zwischen den jetzt verlassenen Kuhweiden. Dann der breitere Sandweg nach Waldenau. Abwärts — abwärts. Links noch einmal die Dächer von Stephanskirchen, grau und mit Steinen beschwert. Jetzt die Wälder. Immer tiefer hinab — tiefer hinab. Und dann schließlich ein Kirchturm mit Zwiebelkuppel: Waldenau.
    Ich bremste in der letzten Kurve über dem Städtchen. Was sollte ich der Mama sagen? Rausgeflogen wegen Cocki: Odysseus,

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