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ruckartig aufzuschrecken. Wieder hatte Christian mir einen Besuch abgestattet. Doch dieses Mal war der Traum anders gewesen. Er hatte mich gewarnt: Da ist jemand hinter dir her. Ich war in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Und Christian hatte nachdrücklich gesagt: Warum nimmst du mich nie ernst?
Als das Konzert endlich zu Ende war, gingen Jan und ich noch in ein Cafe in der Nähe. Es war einer dieser Nepp-Läden mit mittelmäßigem Kaffee und pappigen Kuchen. Wir saßen uns an einem Tisch gegenüber, aber meine Gedanken waren noch bei Christian. Wenn ich nur intensiv genug nachdachte, würde mir sicher schon einfallen, warum er gestorben war. Ich würde ihm helfen können. Als ich im Geiste gerade mal wieder eine Theorie entwickelte, wurde ich von Jan unterbrochen. »Du bist während der Symphonie eingeschlafen.«
»Ich weiß«, gab ich ein bisschen verlegen zu.
»Du hast von ihm geträumt.« Jan sah mich konzentriert an. Ich fühlte mich ertappt. Stellte er nur Vermutungen an? Oder hatte ich im Schlaf gesprochen? Ich fragte nicht. Es war schließlich nur normal, dass ich an Christian dachte. »Du meinst von Christian?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er. Er wirkte irgendwie getroffen.
»Ich kann nichts dafür.«
»Ihr müsst euch nahe gestanden haben.«
»Eigentlich nicht«, sagte ich, obwohl es vielleicht gar nicht stimmte. Vielleicht hatte er mir näher gestanden, als ich geglaubt hatte. Es wurde mir nur erst jetzt klar. Nun, da er tot war, fehlte er mir. Beinahe hätte ich es Jan erzählt. Aber er sah mich mit gerunzelter Stirn an.
»Er war mein direkter Nachbar«, fuhr ich fort.
»Ich weiß.« Er seufzte. Sein Mund bildete eine strenge Linie.
»Es tut mir Leid«, entschuldigte ich mich. »Ich weiß, dass ich bisher nicht sehr unterhaltsam war.«
»Darum geht es nicht«, versicherte er mir. Aber ich wusste, dass er log. »Du kannst aber nicht aufhören zu leben, weil ein anderer Mensch gestorben ist.«
Das hatte ich auch nicht getan. Aber Jan erwartete von mir, dass ich schon vergaß. Und das sagte ich ihm auch.
»Ich bezweifle, dass die Welt diesen Christian so vermissen wird, wie du es tust.«
»Was willst du damit sagen?«
»Vielleicht«, begann Jan und wählte seine Worte mit Bedacht, »ist deine Reaktion ein bisschen übertrieben.«
»Das glaube ich nicht«, antwortete ich. »Schließlich war ich diejenige, die ihn gefunden hat.«
»Ich wünschte, du wärest es nicht gewesen.«
»Tja, war ich aber«, sagte ich. »Und das kann ich nicht ändern.«
»Ich weiß«, meinte Jan. »Wenn ich es könnte, würde ich es ändern.«
Er meinte, was er sagte. Aber es gab nichts, was er tun konnte.
»Hast du ihn denn so gut gekannt?«, fragte Jan. Er legte einen Zwanziger auf den Tisch und winkte der Kellnerin.
»So gut nicht.« Ich konnte nicht gut lügen. Wahrscheinlich durchschaute er mich. »Wir haben uns ein paar Mal unterhalten.«
Jan nickte, fragte aber nicht weiter. »Versuch, nicht immer daran zu denken«, bat er. »Jetzt sind wir ja zusammen.« Er lächelte mich an.
Vielleicht war es egoistisch von mir, das bisschen Zeit, das ich mit Jan hatte, damit zu verbringen, über Christian nachzudenken. Jan trank seinen Espresso, drückte seine Zigarette aus und rutschte von der Bank. »Mit der Zeit«, fügte er hinzu, »wird die Erinnerung verblassen.«
19
Es war eine Erleichterung, wieder in den eintönigen Verkaufstrott zurückzukehren. Sobald ich auftauchte, bombardierte Malcolm mich mit Fragen. Er wollte alles wissen, jedes widerliche Detail. Ich hatte ihm die Geschichte schon am Telefon erzählt. Ich begann mich schon selbst zu langweilen. Aber Malcolm ließ sich nicht abwimmeln. »Erzählen Sie es mir noch mal und fangen Sie ganz von vorne an«, forderte er mich auf.
»Ich hab doch schon alles erzählt.« Ich seufzte. »Ich bin aus der Bar rausgegangen ...«
Malcolm nickte ungeduldig und murmelte »Ich weiß, ich weiß«, als hätte ich an der falschen Stelle begonnen.
»Ich bin mit Jan und Kyle da gewesen. Dann bin ich gegen halb elf gegangen und noch in einem Antiquariat gewesen. Sie wissen schon, das an der Ecke-«
»Ja, ja«, schnitt er mir das Wort ab. »Kommen Sie doch zu den interessanten Stellen!«
»Ich hab mich eine Weile umgesehen und dann ein Taxi nach Hause genommen. Es muss gegen Mitternacht gewesen sein. Dann hab ich den falschen Schlüssel benutzt. Mein Onkel hat mich gewarnt. Er hat gesagt-«
»Ja, ja, weiß ich«, sagte Malcolm und wedelte mit ein paar Füßlingen
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