Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

alle luegen

Titel: alle luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Castaldo
Vom Netzwerk:
Englisch sprach. Ich gehörte zu einem Spionagering mit Gewehren und Landminen und verwundeten Männern. Ich wartete auf ein Unterkommando, das über mein Schicksal entscheiden würde. Und dann stand plötzlich Jan vor mir, sein Gesicht eine Ansammlung von Furchen. »Was tust du hier?«, flüsterte er. Ich brachte kein Wort heraus; mein Mund war wie mit Watte ausgepolstert. Jan drückte zwei Finger gegen Christians weißen Hals. »Er ist tot«, sagte er ruhig, doch seine Hände zitterten. »Hast du die Polizei angerufen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war ich bereit aufzuwachen.
    Jan zerrte mich aus der Wohnung und in Carmis hinein. Er schob mich auf die Couch.
    »Hast du angerufen?«, fragte er noch einmal.
    »Nein«, sagte ich. Ich versuchte zu weinen, aber es kam nicht viel mehr als ein angestrengter Schluckauf.
    Jan nahm den Hörer und wählte. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Nachdem er aufgelegt hatte, machte er den Barschrank auf und mixte mir irgendwas Starkes zusammen. Ich leerte das Glas in einem einzigen krampfhaften Zug. Dann wurde mir schwarz vor Augen und ich fragte mich nur noch, wie Jan es geschafft hatte, den steckenden Schlüssel aus dem Schloss zu kriegen, bevor ich wegdämmerte.

Teil 2

17
    Außer, dass er nach Knoblauch stank, erinnere ich mich kaum noch an den Detective, der mich verhörte, an die Polizei, die das Gebäude durchsuchte oder an die anderen Mieter, die versuchten, einen Blick in Christians abgesperrte Wohnung zu erhaschen. Ich schlief schlecht. Seit drei Nächten hatte ich Alpträume: Ich stand vor Christians Leiche, als ich plötzlich heißen Atem in meinem Nacken spürte. Dann wachte ich schwitzend auf und fand die Decke, die ich mir vom Leib gestrampelt hatte, auf dem Boden. Jan versorgte mich mit rezeptfreien Schlaftabletten - oder vielleicht auch nicht rezeptfreien. Ich fragte nicht. Ich nahm, was immer er mir gab - Hauptsache, es betäubte. Außerdem ging Jan einkaufen, hielt die Wohnung sauber und bemitleidete mich. Ein paar Mal telefonierte ich mit meinen Eltern. Sie boten an, sofort in ein Flugzeug zu steigen und mich zu retten. Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass es mir gut ging. Sie hätten Carmi nur den Urlaub verdorben. Er würde es noch früh genug erfahren.
    Am dritten Tag stand ich endlich auf und machte mir ein anständiges Frühstück. Ich spürte, wie meine Kräfte zurückkehrten - wie nach einer
    ein- oder zweiwöchigen Grippe. Ich hatte gerade meine zweite Tasse Kaffee ausgetrunken, als der Portier anrief: Kyle war unten. Ich war überrascht, dass er sich dazu herabließ, sich so förmlich anzumelden. Vielleicht hatte er das mit Christian erfahren, vielleicht waren die Wachleute im Haus aber auch aufmerksamer geworden. Nach einem Mord könnte man das erwarten. Ich ließ Kyle heraufkommen.
    »Siehst scheiße aus«, sagte er zum Gruß. Er hatte Recht. Dieses Mal war ich diejenige mit den fettigen Haaren, der bleichen Haut und den dunklen Rändern unter den Augen. Kyle sah allerdings auch nicht viel besser aus.
    »Es ist viel passiert«, erklärte ich, als er mich wie üblich grob an sich drückte.
    Er hörte nicht zu. Immer noch sah er mich prüfend an. »Du siehst aus wie ein Junkie.«
    »Nur vorübergehend.«
    »Das sage ich auch immer.«
    »Mach dir keine Sorgen.«
    Er lachte und machte es sich auf der Couch bequem. »Wo ist Jan?«
    »Arbeiten.« Gestern Abend hatte er mir was vom Chinesen mitgebracht. »Ich müsste eigentlich auch arbeiten«, sagte ich. »Aber ich bin krankgeschrieben.«
    Kyle kicherte. »Jetzt machst du ihn aber schlecht.«
    Ich gab keine Antwort. Mir fehlte die Energie. Ich rieb mir die Schläfen mit den Fingerspitzen.
    Kyle zog einen dicken Joint aus seiner Tasche. »Was ist los mit dir?«
    In Kyles Augen konnte niemand außer ihm irgendein ernsthaftes Problem haben. »Mein Nachbar«, sagte ich und deutete auf die Wand. »Er ist tot.«
    »Soll das ’n Witz sein?«, fragte er und zog seine sommersprossige Nase kraus. »Diese französische Schwuchtel?«
    Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. »Schwedisch, war er zumindest.«
    Kyle hörte auf, mit seinem Joint herumzuspielen. »Ernsthaft?«
    »Absolut«, sagte ich. »Er ist tot. Jemand hat ihm den Schädel eingeschlagen.«
    Nachdenklich zog er an seiner Tüte. »Cool.«
    »Schön, dass du das so prickelnd findest.«
    »Soll ich jetzt gleich in Tränen ausbrechen?«
    Von Kyle konnte man kein Mitgefühl erwarten; er war dazu gar nicht in der Lage.

Weitere Kostenlose Bücher