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alle luegen

Titel: alle luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Castaldo
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versetzte ihm einen Stoß mit der Hüfte. »Lass mich in Ruhe.«
    Er trat einen Schritt zurück. »Im Übrigen war er eine Schwuchtel«, fuhr er fort.
    »Halt’s Maul.«
    »Er wollte mir einen blasen.«
    »Blas dir selbst einen«, schrie ich. »Du redest von einem Toten!«
    Aber Kyle ließ sich nicht beirren. »Zuerst wollte er mich aber küssen«, erzählte er. »Da hab ich ihm schon gesagt, dass er die Sache vergessen soll.« Er grinste. Seine Augen waren so rot, dass ich mich fragte, ob er überhaupt noch was sah. »Ich schwöre.«
    »Hau ab.«
    Kyle hob die Hände, als ob er sich ergeben würde. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, warf sich wieder auf die Couch und zündete sich noch einen Joint an. Ich hörte sein Feuerzeug. Ich blieb in der Küche und wartete darauf, dass er verschwinden würde. Ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen. Zehn Minuten später kam er, immer noch völlig unbekümmert, zurück in die Küche und fragte, ob ich mit in eine Bar kommen würde. Er wolle eine Frau treffen - eine Filmemacherin, für die er ganz er selbst sein sollte. Das machte ihn natürlich an. Ich wollte ganz und gar nicht, und er ging.
    Als ich Kyle gerade als das widerliche, abgestumpfte Arschloch, das
    er war, abschreiben wollte, rief er mich aus einer Telefonzelle an, um mir zu sagen, dass es ihm Leid tat wegen Christian; es täte ihm auch Leid, dass er mir nicht von dem Dope erzählt hätte, und noch mehr, dass er eben bei mir so blöd rumgelabert hätte - er hätte Christian wirklich gemocht. Für einen Euro wäre er ganz okay gewesen. Und ausnahmsweise klang Kyle mal ernst.

18
    Eine Woche verstrich, ohne dass ich etwas von der Polizei hörte. Sie arbeiteten an Christians Fall: Sie sammelten Informationen, suchten nach Zeugen, gingen Verbrecherkarteien durch. Sie hatten nicht viele Anhaltspunkte. Christians Vater kam, um den Leichnam zu überführen. Mehr erzählte die Polizei mir nicht. Ich hatte derweil weiterhin Alpträume. Christian stattete mir jede Nacht mit blut verklebtem Haar und blauschwarz verquollenen Augen einen Besuch ab. Er wollte wissen, warum ich ihm nicht helfen würde. Ich suchte angestrengt nach einer Erklärung. Und dann wachte ich gewöhnlich auf - unfähig, irgendwas zu tun. Langsam machte die Sache mich verrückt. Für mein Berufsleben war das Ganze auch nicht gerade gut; ich meldete mich noch weitere vier Tage krank. Ich ging davon aus, dass man es bei Barneys verstehen würde. Ein Mord war schließlich keine Grippe.
    Jan war ein Gentleman. Immer wieder entschuldigte er sich dafür, dass er damals in der Bar nicht gleich mit mir gegangen war. Wenn wir zusammen gegangen wären, hätte er Christian gefunden, nicht ich. Er hätte mir den Schock, über eine Leiche zu stolpern, ersparen können. Er schien beunruhigter über das, was ich gesehen hatte, als über das, was tatsächlich geschehen war. Dass Christian nun kein Teil dieser Welt mehr war, belastete ihn nicht wirklich. Natürlich konnte man auch nicht erwarten, dass Jan wegen seines Todes am Boden zerstört war - schließlich hatte er Christian nur zweimal getroffen. Jan versuchte, mich mit langen Spaziergängen und gutem Essen aufzumuntern, aber ich war keine gute Gesellschaft.
    Und auch sonst war nicht viel mit mir los. Wir hatten immer noch nicht miteinander geschlafen. Aber Jan war ein Typ, der warten konnte -ganz anders als die heißblütigen Amerikaner, die ich ansonsten kannte. In Belgien hatten wir viel Sex gehabt. Aber da war auch nichts anderes zu tun gewesen. Er hatte Urlaub und ich auch. Es hatte sich alles ganz natürlich ergeben. Aber im Augenblick wäre es mir wie ein Sakrileg vorgekommen, so kurz nach Christians Tod Spaß zu haben.
    An einem Abend lud Jan mich in die Carnegie Hall ein, um mich aufzumuntern. Ich kann mich nicht erinnern, was wir uns anhörten - irgendeine finstere, klagende Symphonie. Eigentlich hatte ich gar nicht hingehen wollen. Ich trug die Schuhe, die Christian für mich gekauft hatte. Zu seinen Lebzeiten hatte ich sie nicht aus dem Karton herausgenommen, wie oft er mich auch gebeten hatte, sie zu tragen. Jetzt zog ich sie kaum noch aus. Es waren tolle Schuhe - die besten, die ich je gehabt hatte. Das Leder hatte sich perfekt meiner Fußform angepasst - als trüge ich sie schon seit Jahren. Außerdem sahen sie einfach gut aus. Ganz schlicht, trotzdem teuer. Irgendwie genau wie Christian - man musste zweimal hinschauen.
    Während des dreistündigen Konzerts nickte ich ein, um irgendwann

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