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anstarrten. Kyle war extrem begeisterungsfähig, aber alles was ihn auch nur ansatzweise langweilte, würdigte er keines Blickes. Jan war für alles aufgeschlossen und besaß ein umfassendes Hintergrundwissen. Ich war irgendetwas dazwischen.
Heute hielt ich mit Jan Schritt. Wir hielten gelegentlich Händchen und plauderten über nichts Bestimmtes. Schließlich ließen wir uns auf einer glatten Holzbank vor einem von Gauguins Tahiti-Bildern nieder. Jan war mir sehr nah, der Duft seines schon beinahe verflogenen Aftershaves in meiner Nase.
»Wusstest du, dass Gauguin ein Bankangestellter war?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Er fing erst mit sechsundzwanzig an zu malen.«
»Erstaunlich«, sagte ich und fühlte mich sehr ungebildet.
»Es gibt also noch Hoffnung.« Er sah mich an und lächelte. »Für mich.«
»Willst du malen?«
»Ich kann kaum irgendwas skizzieren«, gab er lachend zu. »Aber mir gefallt der Gedanke, dass man auch erst spät mit etwas Großem anfangen kann.«
»Ich weiß, was du meinst«, erklärte ich. Sicher würde ich auch noch irgendwann erblühen.
Jan nickte, dann verschwand sein Lächeln. »Wie du weißt, bin ich nur für kurze Zeit hier.«
Jan hatte bereits in seinem Brief erwähnt, dass er nicht lange bleiben würde. Aber ich mochte jetzt nicht über seine Abreise nachdenken.
»Ich weiß«, sagte ich. »Du wirst mir fehlen.«
»Ich habe eine Idee.«
»Was denn?«
»Warum kommst du nicht mit mir?«, fragte er und legte einen Arm um meine Schultern. »Nur für ein paar Tage. Um all dem hier zu entkommen ...«
Ich kann nicht, war meine erste Antwort. So verantwortungslos durfte ich nicht sein. Das lag eben nicht in meiner Natur. Aber Jan war darauf vorbereitet. Er hatte sich schon alles ganz genau zurechtgelegt. »Du kannst«, erwiderte er, »wenn du es willst.«
Jan hatte Recht. Ich konnte tun und lassen, was immer ich wollte. Im Augenblick hatte ich eigentlich vor, nach Kalifornien zurückzukehren und mir darüber klar zu werden, was ich mit meiner Zukunft anfangen wollte. Meine Eltern, völlig entsetzt über die Ereignisse hier in New York, hatten mir mein altes Zimmer fertig gemacht und einen Haufen »Aushilfe gesucht«-Anzeigen ausgeschnitten. Aber momentan hatte ich keinerlei Verpflichtungen. Ich war frei. Kalifornien konnte noch warten. Allerdings gab es da noch das Problem mit dem Geld. Mein Gastspiel bei Barneys war nicht übermäßig einträglich gewesen - meine Ersparnisse würden gerade reichen, um die Kaution für irgendein winziges Zimmer in San Francisco zu bezahlen. Jan schien meine Gedanken lesen zu können.
»Ich werde mich um alles kümmern«, sagte er nickend, als ob er gedanklich bereits eine Liste abhakte. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.«
Ich beschloss mitzuspielen, als sei alles schon besiegelt. »Und wohin sollen wir gehen?«
Jan zuckte die Achseln. »Egal. So lange wir zusammen sind. Es spielt keine Rolle.«
Dann stand er auf und musterte den Gauguin. »Tahiti wäre vielleicht ganz nett. Ich bin noch nie da gewesen.« Er sah mich an, als ob er sagen wollte: Also, traust du dich ?
Ich betrachtete seine entschlossene Miene. Und plötzlich ging mir auf, dass ich mich tatsächlich traute. Vielleicht würde es mir gut tun. Ich rief mir in Erinnerung, wie glücklich Jan und ich in Berlin gewesen waren. Und Tahiti oder ein anderes tropisches Ziel war garantiert noch besser als Europa im Winter. Aber was sollte ich tun, wenn ich von meiner Trauminsel zurückkehren musste?
Als wir im Taxi zu Carmis Wohnung zurückfuhren, hielt Jan meine Hand fest und blickte aus dem Fenster. Ich dachte noch immer über seinen Vorschlag nach, während die Fifth Avenue draußen an uns vorüberzog. Es war später Nachmittag und die Wolkenkratzer nahmen einen weichen Safran-Ton an. Die Leute hasteten dicht gedrängt auf dem Bürgersteig voran. Ich hätte gerne gewusst, wohin sie wollten.
»Ich habe viel nachgedacht«, sagte Jan, ohne seinen Blick von der Straße zu wenden.
»Worüber?«
»Über Christian.«
Das überraschte mich. Ich hatte nicht erwartet, dass Jan sich über Christian Gedanken machte.
»Was passiert ist, tut mir Leid«, fügte er hinzu.
Ich fragte ihn, was er damit meinte.
»Ich denke, ich hätte ... mitfühlender sein können«, antwortete er, während er mir sein leicht gerötetes Gesicht zuwandte. Er wirkte ernsthaft und bedrückt.
»Schon gut«, sagte ich. »Es war so oder so ziemlich hart.« Wir passierten das Empire State Building. Jan
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