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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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seiner neuen Mutter eines Tages, als er hinten im Auto saß. Amaye hatte wieder geheiratet; aber der Mann, der vor der Hochzeit so getan hatte, als würde er Tesfaye und Teshome mögen, war überhaupt nicht nett zu ihnen. Die Jungen interessierten ihn nicht. Er fing an, sie zu schlagen, und wollte ihnen nichts zu essen geben; er war dauernd wütend auf sie; also gab seine Frau sie weg. Sie hat ihren neuen Ehemann mir und Teshome vorgezogen. Das werde ich ihr niemals verzeihen.
    Er schluchzte herzzerreißend, während er seiner Adoptivmutter diese Geschichte erzählte, voller Angst, dass sie sie beide jetzt ebenfalls im Stich lassen könnte.
    Sie versicherte Tesfaye, dass es richtig gewesen war, es ihr zu erzählen, dass es nicht seine Schuld war und dass sie ihn niemals verlassen würde.
    Vielleicht , dachte sie , wird er in fünfzehn Jahren, wenn er versteht, was finanzielle Abhängigkeit ist, wenn er begreift, welche untergeordnete Rolle Frauen in seinem Land spielen und in welcher verzweifelten Lage sich die Ärmsten der Armen befinden, seiner ersten Mutter gegenüber nachsichtiger sein.
    Vielleicht wird er nach ihr suchen und ihr vergeben, falls sie dann noch lebt.
     
    Niedliche kleine Mädchen drückten Haregewoin fest an sich, wenn sie sich auf den Weg zu AAI oder AFAA machten, dankten ihr unter Tränen und versprachen, sie niemals zu vergessen und ihr zu helfen, sobald sie in Amerika und reich waren. Und sie erwiderte ihre Umarmung, erstaunt über ihre eigenen Tränen, während ihr plötzlich bewusst wurde, welchen Schatz sie an diesem oder jenem Kind besessen hatte, das jetzt im Begriff stand, sie zu verlassen. Selamawit ging sehr widerstrebend, es bekümmerte sie zutiefst, Haregewoin allein zurückzulassen. »Geh, geh, mein Liebes«, sagte Haregewoin, und Selamawit gehorchte und flog in den Staat Washington zu der netten Familie Murrell, die sie Carrie nannte.
    Andere - vor allem Jungen - umarmten sie nur flüchtig und sprangen in den Wagen der AAI oder AFAA, konnten es kaum erwarten, dass es losging.
    Und Haregewoin war die ganze Zeit müde, eine Müdigkeit, die von Melancholie begleitet wurde.
    Bis eines Tages von irgendwoher ein weiteres kleines Bündel bei ihr landete.

41
    Sie erkannte es zunächst nicht als das Geschenk, das es war.
    An einem sonnigen Vormittag klopfte wieder einmal die Polizei an ihr Tor, mit einem weiteren, namenlosen Baby, das man vor einem Restaurant gefunden hatte.
    Es war ein kummervoll dreinblickendes, etwa zwei Monate altes Mädchen mit einem runden, traurigen Gesicht und einer gewölbten Stirn. Sie hatte lange ohne Erfolg nach ihrer Mutter Ausschau gehalten; und Verwirrung und Einsamkeit hatten hinter ihrer Stirn eine dauerhafte Verhärtung gebildet.
    Haregewoin seufzte, nahm sie und unterschrieb die Papiere. Sie vermied es, dem Baby in die Augen zu sehen. Das Baby vermied es ebenfalls.
    Haregewoin fuhr mit ihm umgehend in die Ambulanz einer Klinik, um es testen zu lassen. Sie zuckte kaum, als die blitzende Nadel die Haut des Kindes durchstieß. Wenn das Ergebnis negativ ausfiel, konnte sie die Kleine gleich an eine der Adoptionsagenturen weitergeben. Ein Mädchen! Egal, wie reizlos und ungeliebt. Weibliche Säuglinge waren das, was die ausländischen Eltern wollten!
    Haregewoin fuhr mit dem Taxi nach Hause, auf dem Schoß das Baby, eingewickelt in eine steife Decke, die sein Gesicht verdeckte. Das Kind war wach, aber still. Haregewoin war in Gedanken schon bei den Aufgaben, die zu Hause auf sie warteten. Sie hatte keine Lust, das Gesicht dieses neuen Kindes zu betrachten.
    Die Kleine war HIV-positiv. Die Adoptionsagenturen würden nichts mit ihr zu tun haben wollen. Selbst wenn es irgendwo eine Adoptivmutter gab, die sie haben wollte, die wusste, dass das Kind mithilfe der pädiatrischen ARVs, die es in ihrem wohlhabenden Land gab, normal aufwachsen und ein normales Leben führen konnte, würde keine Botschaft ein Visum für ein HIV-positives Kind ausstellen. Das Baby saß in Afrika ohne Medikamente in der Falle, und Haregewoin mit ihm.
    Sie hielt das schlaffe kleine Menschenbündel neben einem Kinderbettchen auf Armeslänge von sich weg und überlegte sich einen Namen. Ihr fielen keine Namen mehr ein. Sie war all der Namen überdrüssig. Das Baby blickte nach unten. Es hing reglos in ihren Händen, ohne Hoffnung auf eine Mutter. Haregewoin nannte es Nardos, ein orthodoxer Name, der sich auf das geweihte Salbungsöl bezieht, und drückte es flüchtig an sich, um diesem

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