'Alle meine Kinder'
Interesse der Behörden an Haregewoin wach, und es endete nicht gut. Die komplizierte Geschichte bekam in den Köpfen derer, die Haregewoin Teferra nicht mehr glaubten und ihr misstrauten, einen hässlichen Unterton.
Beza war siebzehn und hatte kein Dach über dem Kopf, als sie Tarikwa zur Welt brachte. Eine Organisation in Addis Abeba, die sich um obdachlose Jugendliche kümmerte - ich will sie Forward Ethiopia nennen -, half Beza und nahm das Kind in ihre Obhut. Aber Forward Ethopia hatte kein eigenes Haus, in dem sie Kinder in Pflege nehmen konnten, daher brachten sie die vier Wochen alte Tarikwa am 4. Februar 2005 zu Haregewoin.
Als der Vertreter der spanischen Adoptionsagentur um die Erlaubnis bat, Eltern für die kleine Tarikwa zu suchen, freute sich Haregewoin und dankte dem lieben Gott.
Zwei Wochen später traf ein Ehepaar, beide Ende dreißig, aus Spanien ein, um das Baby kennenzulernen. Sie nahmen sich gemeinsam mit dem Kind ein Zimmer im Ghion Hotel. Wie bei allen legalen Adoptionen mussten sie bei einer dem Ministerium für Arbeit und Soziales zugeordneten Behörde vorstellig werden, damit man ihnen dort die offizielle Genehmigung zur Adoption des Kindes erteilte.
Forward Ethiopia bekam Wind davon und intervenierte sofort. Die Organisation trat für die Wiederzusammenführung von Familien ein und war strikt gegen Adoptionen ins Ausland. Forward Ethiopia informierte Haregewoin und das Ministerium, die Mutter des Säuglings sei »ein obdachloses Mädchen und möchte, laut eigener Aussage, für ihre Tochter die Unterstützung eines hier ansässigen Waisenhauses in Anspruch nehmen, da sie finanziell nicht dazu in der Lage ist, sie selbst aufzuziehen, und nicht will, dass sie ins Ausland kommt«.
Eine Frau von Forward Ethiopia nahm an der Anhörung teil und legte Widerspruch gegen den Adoptionsantrag ein. Im Namen der ersten Pflegeeinrichtung, in der Tarikwa untergekommen war, Forward Ethiopia, verweigerte sie die Zustimmung zur Adoption.
Mit leeren Händen und völlig verstört, verließ das spanische Paar das Gebäude, den zusammengeklappten Buggy hinter sich herziehend. Die Frau von Forward Ethiopia fuhr mit Tarikwa in einem Taxi davon.
Auch Haregewoin verschwand von der Bildfläche.
Aber zwei Tage darauf klopfte Beza, die junge Mutter, an Haregewoins Tor. Sie trug die kleine Tarikwa in einem Tuch auf dem Rücken.
»Bitte, waizero , bitte, Sie müssen sie nehmen. Sehen Sie mich an. Ich habe nichts. Sie wissen, wie ich lebe. Warum haben Sie mir meine Tochter zurückgegeben?«
»Forward Ethiopia hat dir deine Tochter zurückgegeben?«, fragte Haregewoin verwundert. »Ich dachte, sie wollten sie behalten.«
»Sie haben sie mir gebracht und mir vier Birr gegeben, damit ich ihr etwas zu essen kaufen kann.«
Das Mädchen war schmal, ihre Haare wurden von einem eng um den Kopf gewickelten, schmutzigen Tuch verdeckt. Aber das Baby lächelte strahlend und war sehr hübsch. »Sie trinkt zu viel«, sagte Beza. » Waizero , bitte geben Sie sie diesen Eltern zurück.«
»Das kann ich leider nicht«, sagte Haregewoin. »Sie ist nicht mehr in meiner Obhut. Aber du kannst ihnen das Kind geben«
Haregewoin rief das spanische Paar im Hotel an: »Vielleicht findet alles doch noch ein glückliches Ende für Sie.«
Beza diktierte einen förmlichen Brief, der an Haregewoins Organisation gerichtet war. Er ist auf den 17. Februar 2005 datiert und lautet wie folgt:
Ich, die Antragstellerin [Beza], … erhielt von einer Organisation namens [Forward Ethiopia] Hilfe und erkläre hiermit, dass ich früher auf der Straße lebte und zu der Zeit, als ich bei dieser Organisation war, vergewaltigt wurde und ein Kind zur Welt brachte. Da ich nicht imstande bin, mein Kind selbst großzuziehen, ist festzuhalten, dass die Organisation [Forward Ethiopia] eine andere Organisation [Atetegeb Worku Memorial Orphans Support Association] gebeten hat, mein Kind in ihre Obhut zu nehmen, und dass ich das Kind aus freien Stücken dorthin gegeben habe.
Da sie mir das Kind aus unbekannten Gründen zurückgegeben haben und da ich über keinerlei Einkommen verfüge und weiterhin auf die Hilfe der Organisation [Forward Ethiopia] angewiesen bin, habe ich gehört, dass Sie das Kind einer ausländischen Familie zur Adoption gegeben haben. Da ich nun nicht möchte, dass meinem Kind diese Möglichkeit versagt bleibt und es das gleiche Schicksal erwartet wie mich, bitte ich Sie, das Kind den Ausländern zu überlassen, die es mir zurückgegeben
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