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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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sagen: ›Seid stark. Was vorbei ist, ist vorbei.‹ Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.« Sie lief die Treppe zu ihrem Zimmer hoch und warf die Tür hinter sich zu. Dort setzte sie sich aufs Bett und fing wieder an zu zittern.
    Dem ältesten der Jungen, dem Vierzehnjährigen, merkte man nichts an. Er ging zur Schule, hatte gute Noten, kam nach Hause und half bei der Hausarbeit. Sie mochte diesen fröhlichen Jungen sehr. »Zelalem«, sagte sie eines Tages. »Sag, hat er dir jemals wehgetan?«
    »Nein, Waizero Haregewoin!«, rief er und blickte sie mit weit aufgerissenen Augen unschuldig an.
    »Hat dich Sirak belästigt?«
    »Nein, Madam.«
    »Er hat diese schlimme Sache nicht mit dir gemacht?«
    »Nein, waizero .«
    »Glaubst du... glaubst du, es stimmt, was Wasihun sagt?«
    »Wasihun ist ein Dummkopf.«
    »Kann ich irgendetwas für dich tun? Brauchst du irgendetwas?«
    »Nein, waizero , es geht mir gut.«
    Aber Wasihun und Dereje gaben nicht auf. Wenn sie morgens aufstanden, dann zogen sie übertrieben ein Bein nach. Sie setzten Miniya zu: »Warum bringt sie uns nicht ins Krankenhaus?«
    Eines Tages, als Haregewoin mit einem Arm voll Wäsche über den Hof eilte, hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden; Wasihun lungerte mit nacktem Oberkörper auf der Treppe zum Schlafraum der Jungen herum.
    »Du bist nicht meine Mutter«, sagte er leise.
    Sie hatte ihn gehört, ging aber auf dem Weg zwischen den Häusern zu den Wäscheleinen weiter.
    Einige Tage später stand Dereje wieder auf und ging in die Schule, nachdem er festgestellt hatte, dass er sich nur langweilte, wenn er den ganzen Tag zu Hause blieb.
    Weitere drei Tage später verließ auch Wasihun mürrisch sein Bett, spritzte sich Wasser ins Gesicht, zog seinen Schulpullover an, strich sich die Haare glatt und ging ebenfalls wieder zum Unterricht. Aber beide Jungen blieben ihr gegenüber unversöhnlich. Immer wenn sie an ihnen vorbeiging, warfen sie sich einen Blick zu. Jetzt war es an ihr, unschuldig die Augen aufzureißen und sich zu fragen: Ich? Was habe ich denn falsch gemacht?

47
    Es wurden immer neue Anschuldigungen gegen Haregewoin erhoben.
    Sie büßte ihre Beliebtheit ein.
    Als Haregewoin sich in höheren Sphären zu bewegen begann - Besucher von ausländischen Botschaften und Vertreter weltweit operierender NGOs begrüßte, deren schicke Geländewagen vor ihrem Tor hielten -, bemerkten einige alte Bekannte an ihrem Wesen plötzlich eine gewisse Eigennützigkeit. Auf einmal glaubte man, dass sie alles, was sie zu erreichen versucht hatte, nur für sich getan hatte. Als sie ins Straucheln geriet, waren diese und andere Leute zur Stelle, um ihr dabei zuzusehen oder ihren Fall sogar noch zu beschleunigen.
    Als Erstes wandten sich die Frauen aus der Nachbarschaft gegen sie - HIV-positive Weberinnen, mit denen Haregewoin ihr Essen teilte und deren Arbeiten sie in ihrem Haus und auf ihrer Reise zum Verkauf angeboten hatte. Sie meinten, sie wäre aus Amerika als reiche Frau zurückgekehrt. Als Besitzerin (so dachten sie) von drei Häusern (die gemietet waren) und eines Kleinbusses (gebraucht gekauft) musste sie auf einem riesigen Sack Geld sitzen.
    »Sie hat unsere Tücher und Schals verkauft und uns nur einen Teil des Geldes, das sie dafür bekommen hat, gegeben«, erzählten sie einander. »Sie nutzt uns aus.«
    »Das Haus in der Gojam-Straße«, sagte eine, die es gesehen hatte. »Das ist das Haus einer reichen Frau.«
    Einige gingen zum kebele , um sich über Haregewoin zu beschweren: »In Amerika haben viele Leute unsere Stoffe gekauft und mehr davon bestellt, aber sie hat uns nicht das ganze Geld gegeben.«
    Andere, die nach einer Erklärung für ihren Wohlstand und ihren Status suchten, fragten sich, ob sie die Kinder, die sie vor ihrem Tor fand, verkaufte. Weil es schwer vorstellbar war, dass man nur von Tüchern so reich werden konnte.
    Für diese Verdächtigungen gab es keine Bestätigung, aber der Argwohn nahm weiter zu. Hinter dem glänzenden Stahltor mit der Messingeinfassung, hinter der schönen Steinmauer musste etwas Dubioses vor sich gehen. Wenn Haregewoin durch das Viertel fuhr, hoch oben neben dem Fahrer auf dem Beifahrersitz des Kleinbusses thronend, sahen die armen Frauen aus der Nachbarschaft nicht länger mit Wohlgefallen hinter ihr her. Sie verbirgt etwas, dachten sie.
    Dann riefen die verworrenen Lebensumstände einer unverheirateten jungen Mutter, eines Mädchens von der Straße, das ich Beza nennen will, und ihres Kindes das

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